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Die Geschichte von Filz, Sumpf und Männerkumpanei

■ Seit Jahren stoßen im Bezirksamt Berlin–Kreuzberg Frauen mit ihren Beschwerden gegen einen Vorgesetzten auf eine geschlossene Männerfront / Vorwürfe wegen sexueller Belästigung, Veruntreuung von Geldern und unkorrekter Geschäftsleitung stoßen auf taube Ohren / Versetzt wurden immer nur die Klägerinnen

Von Gitti Hentschel

Berlin (taz) - „Über die Zustände in der Musikschule Kreuzberg wollen Sie was erfahren? Ja, es wäre dringend nötig, da mal aufzuräumen. Bis hin zum Bürgermeister halten doch alle im Bezirksamt dicht. Da ist der Filz ja schlimmer als oben in Schleswig– Holstein mit der Barschel–Affäre.“ Seit zwei Monaten, seitdem ich versuche, mir ein Bild von den „Zuständen“ in der Volksmusikschule des Berliner Bezirks Kreuzberg zu machen, höre ich immer wieder Vergleiche mit der Barschel–Affäre, hilflose, resignierte Einschätzungen über den „Filz“ und „Sumpf“ im Kreuzberger Bezirksamt und über „Männerkumpanei“, gegen die doch nichts zu machen sei. Hintergrund sind die Erfahrungen, die viele Frauen machen, die in untergebener Position arbeiten und dabei auf eine geschlossene Männerfront stoßen, wenn sie sich gegen Willkür, despotisches Verhalten und sexuelle Belästigung eines Vorgesetzten zur Wehr setzen. In den letzten sechs Jahren haben mindestens acht Mitarbeiterinnen der Volksmusikschule aus dem Verwaltungsbereich ihren Arbeitsplatz gekündigt, ließen sich versetzen oder wurden versetzt. Sie alle hatten massive Schwierigkeiten mit dem Leiter der Musikschule, einem SPD– Mann, der bis heute nicht nur von einflußreichen Partei–Mitgliedern im Bezirksamt, sondern auch vom CDU–Bürgermeister gedeckt wird; und das, obwohl die Frauen dem Volksmusikschulleiter schwerwiegende persönliche Verfehlungen vorwerfen. Die fangen an bei der Veruntreuung von Geldern und unkorrekter Geschäftsleitung, und gehen bis hin zur sexuellen Belästigung einzelner Frauen. Versetzt werden die Beschwerdeführerinnen Die Vorgänge reichen zurück bis zum Ende der 70er Jahre. Damals stellte eine für die Führung der Instrumentenkartei zuständige Verwaltungsangestellte bei der Ausleihe der Instrumente Unregelmäßigkeiten fest, die der Musikschullehrer zu verantworten hatte. Doch eine Klärung des Sachverhalts mit dem Vorgesetzten war nach Darstellung der Angestellten nicht möglich. Im Gegenteil habe er sie zunehmend mit „schrecklichen Launen und Schikanen traktiert“. Durch den ständigen Streß und Druck, dem sie durch den Chef ausgesetzt war, wurde die Angestellte physisch und psychisch krank, so daß sie sich schließlich beim zuständigen Stadtrat über den Musikschulleiter beschwerte - ohne Erfolg. Die einzige Erklärung, die die Angestellte und Kolleginnen dafür fanden: Auch der zuständige Stadtrat war SPD–Mitglied. Schließlich wurde die Frau - auf eigenen Wunsch - nach dreijähriger Tätigkeit in der Musikschule in eine andere Stelle gesetzt. Die Erfahrungen ihrer Kolleginnen und Nachfolgerinnen waren ähnlich. Besonders folgenschwer war die Situation in der Volksmusikschule für eine Sekretärin. Im Jahr 1981 konnte sie den Verbleib von Musikinstrumenten im Wert von 60.000 DM nicht klären. Der Musikschulleiter wollte den Fehlbestand mit der Behauptung auf sich beruhen lassen, in der Musikschule sei eingebrochen worden, so ihre Darstellung. Doch für einen Einbruch gab es keine Anhaltspunkte. Zur Klärung des mysteriösen Sachverhalts bekam die Sekretärin schließlich einen Termin beim Stadtrat. Doch zwei Tage vor dem verabredeten Ter min wurde sie in der Musikschule hinterrücks von zwei Männern niedergeschlagen und schwer verletzt. Sie ist seitdem erwerbsunfähig. Zwar kann die Frau keine Beweise dafür liefern, doch ist sie überzeugt, daß dieser Überfall „im Zusammenhang steht mit dem Termin beim Stadtrat“. Der von ihr festgestellte Fehlbestand von Musikinstrumenten wurde nie aufgeklärt. Auch in der Folgezeit stellten Büroangestellte und die 1981 eingestellte Geschäftsführerin Unregelmäßigkeiten bei der Buchführung, Fälschungen von Schülerzahlen, schlampige Abrechnungen, fehlende Quittungen oder Musikinstrumente fest, die auf das Konto des Musikschulleiters gingen. Besonders unerträglich war für die Frauen allerdings das persönliche Verhalten des Vorgesetzten, seine unberechenbaren Wutausbrüche, seine Demütigungen und Beleidigungen, seine Intrigen und Diffamierungen gegen einzelne Kolleginnen. „Er vergiftete das ganze Arbeitsklima“, so eine der früheren Büroangestellten. Drei Frauen werfen dem früheren Vorgesetzten auch sexuelle Belästigungen vor. Allerdings haben sie darüber zum Zeitpunkt des Geschehens nicht gesprochen. „Ich war damals noch so jung und auch ein bißchen blöd“, erklärt eine der Frauen heute ihr damaliges Schweigen. Sie hatte darauf hin gekündigt, denn: „Ich habe den Streß nicht ausgehalten.“ Beschwerden prallten auf Gummiwände Andere Angestellte zogen die gleichen Kosequenzen. Sie kündigten oder ließen sich versetzen, nachdem ihre wiederholten Beschwerden über den Vorgesetzten beim zuständigen Verwaltungsleiter und Stadtrat des Bezirks - bis auf eine Abmahnung des Musikschulleiters im Jahr 1983 - mehr oder weniger im Sande verliefen. Die Geschäftsführerin allerdings gab nicht auf und machte weiterhin Eingaben gegen den untragbaren Vorgesetzten. Die Folge: 1985 wurde sie gegen ihren Willen auf eine andere, weniger qualifizierte Stelle innerhalb des Bezirks versetzt. Mit rechtlichen Mitteln, unterstützt von ihren früheren Kolleginnen, kämpfte sie gegen ihre Versetzung. Sie erhob auch Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die leitenden Beamten des Bezirks bis hin zum Bürgermeister, weil diese weiterhin nichts gegen den Musikschulleiter unternahmen. Alles ohne Erfolg. Doch als die Frau im letzten Jahr die Verhältnisse in der Musikschule und die Vertuschungsmanöver des Bezirksamt öffentlich machte, schien ein Stein ins Rollen zu kommen. „Ich sitze politisch fest drin“ Ein Untersuchungsausschuß der Bezirksverordnetenversammlung wurde eingesetzt, und auch die Staatsanwaltschaft nahm frühere Ermittlungen gegen den Musikschulleiter wegen Verdachts der Veruntreuung von Geldern und sexueller Belästigung wieder auf. Doch obwohl der Untersuchungsausschuß zahlreiche Vergehen und Verfehlungen des Musikschulleiters zumindest im Bereich der Geschäftsleitung feststellte und einzelne Vorwürfe mangels fehlender Unterlagen nicht klären konnte, wurde der Ausschuß im Sommer dieses Jahres mit den Stimmen von SPD und CDU - gegen die der Alternativen Liste - wieder eingestellt. Ohne Konsquenzen für den Musikschulleiter. Die Vorwürfe der sexuellen Belästigung wurden unter den Tep pich gekehrt, obwohl sie den Berichten der Frauen zufolge zum Teil frappierend und ekelerregend waren. „Er hat immer gesagt: Ich sitze hier politisch fest drin, mir kann keiner etwas. Und die im Bezirksamt haben selber Dreck am Stecken, die trauen sich nicht, euch Frauen zu helfen“, versucht eine der früheren Angestellten die Position des Musikschulleiters mit dessen eigenen Worten zu erklären. Der Musikschulleiter selbst lehnte durch seinen Anwalt ein Gespräch mit der taz ab; in einem Telefongespräch erklärte er mir jedoch, daß sämtliche Vorwürfe der Frauen „erstunken und erlogen“ und die Vorwürfe der sexuellen Belästigung „noch absurder“ seien als die der Veruntreuung von Geldern. Eine offizielle Stellungnahme vom Bezirksamt Kreuzberg zu erhalten, schien schier unmöglich. Der CDU–Bürgermeister Krüger ließ durch seinen Pressesprecher mitteilen, er könne sich nicht äußern, da es sich um „eine Personalangelegenheit“ handele, über die „in der Öffentlichkeit nichts bekannt werden“ solle. Aber „es liegt gegen Herrn Sch. nichts vor“. Lediglich der zuständige Verwaltungsleiter Pawladzyk ließ sich schließlich zu einigen Äußerungen hinreißen; daß nämlich die Vorwürfe gegen den Volksmusikschulleiter „von Leuten erhoben worden“ seien, „die sich heute aus irgendwelchen Grünen zusammentun, früher aber gegeneinander gearbeitet haben“. Die Vorwürfe der sexuellen Belästigung seien ihm „nicht bekannt, das heißt, eine Dame - die soll zu irgendwas animiert worden sein“. Aber das werde dann ja der Staatsanwalt klären. Weiter wies er darauf in, daß die Musikschule „besser läuft als in der Vergangenheit“. Eine Behauptung, der heutige MitarbeiterInnen der Musikschule nicht offen zu widersprechen wagen - schließlich wären sie nicht die ersten, für die ein Auftreten gegen den Leiter der Volksmusikschule Konsequenzen hätte. Allein ein langjähriger Musikschullehrer traut sich auch jetzt noch, offen zu reden, nennt den Musikschulleiter einen „Versager“, der sich „wie ein selbsternannter Gott“ gebärde, „Amok laufe, hemmungslos Leute anschreit, Lehrer vor Schülern zur Sau macht“ und „auf Kosten der Musik“ Leute protegiere. Dabei setze er „Geld als Druckmittel“ gegen alle ein, die sich gegen ihn wehrten. Die ehemalige Geschäftsführerin der Musikschule soll nun nach einem langen und kräfteverschleißenden Kampf mit dem Bezirksamt - zuletzt um ihre Beurlaubung für eine andere Beschäftigung in einem anderen Bezirk - in diesen Wochen vom Bezirksamt eine fristlose Kündigung erhalten. „Die Quittung für ihre Hartnäckigkeit“, so die ÖTV–Personalrätin Barbara Klemm aus dem Berliner Frauenarbeitskreis der ÖTV. An den Arbeitskreis haben sich die ehemaligen Musikschulmitarbeiterinnen gewandt, nachdem sie alle möglichen öffentlichen Instanzen vergeblich um Unterstützung gebeten haben: Senatoren, die sich für Bezirksangelegenheitn als nicht zuständig erklärten; den Petitionsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses, der sich in Schweigen hüllt. Nach Ansicht der ÖTV–Frauen helfen jetzt nur noch öffentliche Aktionen gegen „die Männermafia im Bezirksamt“. Denn: Frauen wird nie die gleiche Glaubwürdigkeit zugebilligt wie Männern. Und wenn es um politische Interessen und um die Vertuschung von sexueller Belästigung geht, reicht die Männerkumpanei sehr weit über Parteigrenzen hinweg.

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