Die Geschichte der Silke B.: Zur Reichsbürgerin gestempelt
Silke B. besuchte als Beobachterin einen Prozess, der aus dem Ruder lief. Dann wurde sie als Reichsbürgerin kategorisiert und angeklagt.
Diese Einordnung ist seit über zwei Jahren aktenkundig: Am 2. Februar 2016 nahm Silke B. in genau dem Gerichtssaal des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg, in dem Mitte dieser Woche nun gegen sie selbst verhandelt wurde, als Zuschauerin an einem Strafverfahren gegen die erwerbslose und schwerbehinderte Christine K. teil.
Die Frau, der von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird, einen Mitarbeiter des Jobcenters beleidigt zu haben, hatte im Internet um eine solidarische Beobachtung ihres Prozesses gebeten; rund 20 ZuschauerInnen, darunter Silke B., waren dem Aufruf gefolgt. Die meisten von ihnen gehören der linken, Hartz-IV-kritischen Szene an.
Aber es sind auch drei Personen vor Ort, die aus dem Rahmen fallen, die die beginnende Verhandlung massiv durch eigene Vorträge stören, die Richterin und Staatsanwältin bedrängen, sich erst einmal auszuweisen. Es kommt zu tumultartigen Szenen, der Angeklagten ist der Auftritt der drei ZuhörerInnen sichtbar unangenehm, mehrere andere ProzessbeobachterInnen fordern die drei nach übereinstimmenden Aussagen mehrfach erfolglos auf, Ruhe zu geben.
Schließlich alarmieren die Richterin und die Staatsanwältin Tanja M. die Polizei, die nach wenigen Minuten auftaucht. Silke B. glaubt nun, die angerückten Ordnungskräfte sollen nur die drei StörerInnen entfernen, sie weigert sich, den Raum zu verlassen, da die Angeklagte doch ausdrücklich Öffentlichkeit wünscht.
Silke B., Angeklagte
Schließlich tragen sie zwei Polizisten aus dem Saal und nehmen ihre Personalien auf. Die Quittung: Auf Betreiben der Staatsanwältin erhalten zehn der ZuschauerInnen, darunter Silke B., einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruchs. Da B. Widerspruch einlegt, kommt es zum Prozess.
Doch damit nicht genug: In einem Vermerk über den Sitzungsverlauf schreibt die Staatsanwältin, bei den ZuhörerInnen habe es sich „durchweg um Angehörige der Reichsbürgerbewegung“ gehandelt, packt die ProzessbeobachterInnen damit ausnahmslos in die rechtsextreme Ecke.
Eine Zuweisung, die Silke B., so macht sie in dem gegen sie gerichteten Verfahren deutlich, als „schwer kränkend“ und als „Rufmord“ empfindet, zudem auch als „Kriminalisierung des Protests“. Die Überzeugungen der Reichsbürger „verabscheue und bekämpfe ich“, sagt die 51-Jährige.
Beim Staatsschutz aktenkundigt
Das aber hilft ihr nicht. Der Vermerk der Staatsanwältin führt dazu, dass die Akte mit den namentlich erfassten ProzessbeobachterInnen in der Abteilung sieben des Hamburger Landeskriminalamtes landet – dem Staatsschutz. Dass sie dort nun als mutmaßliche Reichsbürgerin geführt wird, ist für Silke B. „schwer zu ertragen“.
Vor Gericht sitzen sich Silke B. und die Staatsanwältin Tanja M., die als Zeugin in dem Hausfriedensbruch-Verfahren geladen ist, nun gegenüber. M. verteidigt ihre Einschätzung. „Es war mein Eindruck“, sagt sie, dass die drei aktiven StörerInnen der Reichsbürgerbewegung angehörten und die übrigen ProzessbeobachterInnen deren Treiben verbal unterstützt hätten. Sie habe die drei deshalb nur als „Wortführer“ der versammelten Anwesenden empfunden, die Wahrnehmung gehabt, dass alle Zuschauerinnen „derselben Ideologie angehören“.
Daran, dass mehrere ProzessbeobachterInnen die drei „Wortführerinnen“ aufgefordert hätten aufzuhören, kann M. sich nicht erinnern, ausschließen mag sie es aber nicht. Natürlich könne sie nicht bei jeder und jedem Anwesenden mit Sicherheit sagen, dass sie Reichsbürger seien, trotzdem würde sie ihren Vermerk mit dem pauschalisierenden „durchweg um … “ wieder genauso formulieren. Dass sich der Staatsschutz aufgrund ihres Vermerks mit den Prozessbeobachterinnen beschäftige, habe sie nicht zu verantworten – es gibt keine Entschuldigung.
Löschung aller Daten
Längst hat Christine Siegrot, die Anwältin von Silke B., geprüft, ob der Staatsanwältin mit Straftatbeständen wie „Verleumdung“ oder „übler Nachrede“ beizukommen ist, doch das setzt Vorsatz voraus. Den ihrer Mandantin zur Last gelegten Hausfriedensbruch mag sie nicht erkennen, da es rechtswidrig gewesen sei, aufgrund einzelner StörerInnen die gesamte Öffentlichkeit und damit auch Silke B. vom Verfahren auszuschließen.
Der passive Widerstand gegen die Durchsetzung rechtswidriger Anordnungen aber könne nicht strafbar sein. Ob auch die Vorsitzende Amtsrichterin, Kristina H., die bereits eine Verfahrenseinstellung angeregt hat, dieser Auffassung zuneigt, wird sich voraussichtlich am 17. April zeigen, wenn das Verfahren fortgesetzt und möglicherweise auch ein Urteil gesprochen wird.
Zudem will die Anwältin die Löschung aller Daten erwirken, die ihre Mandantin Silke B. als mögliche Reichsbürgerin brandmarken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt