Die Generatoren von Schönbergs Traum

■ Die Elektronische Musik hat in Bremen ein neues Zentrum: Ein Abend im ZeM-Studio

Im bunten Reich unserer Alltagsmärchen sind die elektronischen Musiker hinter siebzehn Bergen zuhause, in einer Art eiskaltem Technodschungel mit Blinklämpchen und blubbernden Sümpfen, wo Jaulen ist Tag und Nacht und tückische Kriechströme lauern.

Hier hingegen, im großen Studio des Bremer Zentrums für Elektronische Musik (ZeM), sieht es so heimelig aus, als hätte eben mein Freund Kurt mit seiner Band geübt. Gitarren an der Wand, Schlagzeug in der Ecke, ein Mischpult, daneben ein hoher schmaler Schrank — das ist aber, sagt man mir, sowas wie ein Wassertropfenfallturm, eine Soundmaschine von Beruf.

An einem gemeinen PC (abacus abacus communis) sitzt, Mäuschen in der Rechten, Pierre Cuchacha, schwarzäugiger Musikus, malt ein wenig auf dem Bildschirm herum, Kreise, Rechtecke, eine Sägezahnkurve, pickt sodann auf eine Taste, und gleich erklingt Spechtsgeklöppel, es knarzt und braust und zischt, und Glockentöne purzeln von ihren Leitern. Solches zaubert, nur zum Beispiel, das Kandinsky- Programm, eine nützliche Hilfs- Software für den Kompositeur.

ZeM, gegründet im April dieses Jahres im Umkreis des Bremer Komponisten und Hochschullehrers Erwin Koch-Raphael, ist erstens ein technologi

hier

bitte

die

graphische

Partitur

scher Verbund, ein fliegendes, ideelles Gesamtstudio sozusagen, je nach Bedarf allüberall zusammenzustöpseln aus den Gerätschaften der bislang 17 Mitglieder.

Zweitens viel mehr. Trifft man sich nämlich, „alle wissen was Neues“, sagt Koch-Raphael, oder man macht Musik, betüftelt Technisches oder bebrütet Projekte. Draußen in der Welt pfeift ja auch ein strenger Wind, an der Uni muß das ZeM sich aschenputtelig von schlechten Linsen nähren, es kriegen die Leute noch nicht ein

mal einen Raum, sich zu treffen, und das Studio dort ist ein scharfer Spott auf seinen Namen.

Koch-Raphael denkt daran, das ZeM bei anderen Fachbereichen, beispielsweise den Informatikern, in Sicherheit zu bringen; aller Welt Interesse ist lebhafter als das der Uni-Musikanten.

Ohnehin ist das ZeM potentiell netzknüpferisch tätig; allein die Mitgliedschaft vereint schon Elektrotechniker, Physiker, Programmierer, die Komponisten nicht zu vergessen, und als Hecht im Brain-Pool schwimmt ein echter Alleinunterhalter aus Bremerhaven.

Das ZeM spinnt naturgemäß schon erste Fädchen hinüber zum Rechenzentrum, auch mit dem Graphik-Labor würde man gerne kollaborieren, vielleicht ein paar neue Formeln der Fraktalen Geometrie musizieren oder so.

Fünf Mannsbilder, Georg Sichma, stud. musikpäd., Axel Mehlem, der grad zwei Monate in Gamelan-Land indonesische Musik ausprobiert hat, Marc Pira und Pierre Chuchana, freie hiesige Musizi, und Erwin Koch-Raphael, der Freundliche, alle stecken voller spezieller Zukunfts- Skizzen; ich erfahre, wie vieles ginge, und wie wenig geht. Das Weihnachtskonzert, geplant für den Heiligen Nachmittag unter dem Titel „Elektronische Musik für die ganze Familie“, mit viel Gerät zum Rumspielen für Kinder und sonst auch: abgesagt von Dacapo, von wegen „kommt kein Mensch“. Der schöne Plan, eine Klangausstellung zu machen, für jeden Klang ein Zimmerchen, hier ein Zirpen, nebenan ein Rumpelbaß, auf dem Flur lauteres Tohu und Bohu, je nachdem wie die Türen gehen: wird wohl nix, wegen Raummangel.

Dabei ist, was sich in der Elektronischen Musik seit zehn, zwanzig Jahren vollzieht, durchaus revolutionär: die kompositorische Eroberung des Klangs. Nunmehr ist auch er, nach Notat, in allen gewünschten Farbverläufen zu produzieren, und zwar nanosekundengenau, falls das jemandem imponiert.

Schönberg, der Dahingegangene, hat von einer Musik geträumt, die einmal ohne Rhythmus und Melodie auskäme: voila, der Synthi macht ein Lied aus nix als Klangfarben und ist gar nicht mehr teuer.

„Wir machen hier ja doch die Hausmusik der Zukunft“, sagt Koch-Raphael und läßt ein Strahlelächeln hinterherglänzen, weil ihm persönlich ist das billige, unproblematische, demnach leicht zu popularisierende MIDI- Schnittstellen-System, mit dem ZeM arbeitet, doch manchmal ein bißchen zu ungehobelt. Wo er lieber in gleitenden Frequenzen dächte, MIDI aber, so mikrotonal die Intervalle auch sind, nur in diskreten Schritten funktioniert.

Immer sind sie ihnen noch nicht ganz unendlich genug, die möglichen musikalischen Welten, obwohl unsereinem schon beim Gedanken schwach wird, es sei nun, mit Chasern, Phasern und Hüllkurvengeneratoren, jeder planbare Klangprozess auch herstellbar. Ganz neue Komponistenprobleme, nich? „Ja“, lacht Koch-Raphael, „das gibt dann neue Musik. Wir“, sagt er, „wir lieben diese Probleme. Manfred Dworschak

Kontakt: ZeM, Hagenauer Str. 28, Bremen