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Die Gegenwart der Vergangenheit

Weil sie auf die Stasi-Mitarbeit einer Kollegin aufmerksam machte, wurde der Sozialarbeiterin Barbara Fuchs gekündigt. Ihre Unterstützer fordern nun ein Berufsverbot für die ehemalige Stasi-Frau  ■ Von Uwe Rada

„Ja“, sagt Maja Wiens, „ich war eine schlimme Inoffizielle Mitarbeiterin.“ Sie fügt hinzu: „Aber ich habe mich damit auseinandergesetzt.“ Die Liedermacherin Bettina Wegner schüttelt den Kopf. Sie will und kann den Worten von Maja Wiens nicht glauben. Bettina Wegner war eine derjenigen, die von ihrer ehemaligen Freundin Maja Wiens alias „IM Marion“ bespitzelt wurde.

Aber eigentlich muß von Barbara Fuchs die Rede sein. Barbara Fuchs war bis zum Dezember 1995 Mitarbeiterin des Kulturvereins Prenzlauer Berg und leitete das Jugendprojekt „Drei-Eck“. Im Dezember wurde ihr von der Geschäftsführung des Vereins mitgeteilt, daß man ihr Arbeitsverhältnis nicht verlängere. Zuvor war Barbara Fuchs bereits abgemahnt worden. Sie habe, so heißt es in einem Schreiben der Geschäftsführerin Evelyne Lämmer, „auf unzulässige Weise moralische, politische und arbeitsspezifische Probleme miteinander vermischt“.

Was sich aus der Sicht der Geschäftsführung als bewußter Vertrauensbruch ausnimmt, ist nach Schilderung von Barbara Fuchs das Resultat einer spontanen Empörung: Während einer Betriebsversammlung des Kulturvereins Ende Oktober hatte Barbara Fuchs ihre Kollegin Maja Wiens als „schlimme“ Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit bezeichnet. Neben verschiedenen Spitzeleien warf sie ihr auch vor, am Tod eines Menschen verantwortlich zu sein und fragte, ob eine Frau mit dieser Vergangenheit als Betriebsrätin an der richtigen Stelle sei. Eine Kollegin sagte: „Für uns war das ein Schock, wir waren alle betroffen und wußten nicht, wie wir in dem Moment damit umgehen sollten.“

Zwei Monate später steht Barbara Fuchs auf der Straße. Eine Auseinandersetzung hat es weder mit ihr noch um die Vergangenheit von Maja Wiens gegeben. Der Schock war nicht heilsam, statt sich einem Konflikt zu stellen, begann man, schmutzige Wäsche zu waschen. Manche Kollegen argwöhnen, Fuchs wollte im Kampf um eine unbefristete Stelle eine Konkurrentin ausschalten. Barbara Fuchs wiederum bezweifelte, ob Maja Wiens tatsächlich, wie von ihr behauptet, bereits Anfang der achtziger Jahre aus ihrer Stasi-Tätigkeit ausgestiegen sei.

Wie unbequem eine Auseinandersetzung zu diesem Thema sein kann, und wie bequem es ist, sich hinter Paragraphen zu verstecken, verdeutlichte die Kulturvereins- Geschäftsführerin Evelyne Lämmer: In offensichtlicher Verkennung des in erster Linie moralischen Anliegens von Fuchs schrieb sie, „eine Überprüfung der Vergangenheit der Angestellten im Hinblick ihrer Tätigkeit für die Staatssicherheit der DDR wäre satzungswidrig“. Schon als auf einer außerordentlichen Betriebsversammlung Anfang November über den Fall Maja Wiens gesprochen wurde, zeichnete sich ab, daß daraus ein Fall Barbara Fuchs werden könnte. Mit 15 zu 12 Stimmen sprach die Belegschaft der ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin das Vertrauen aus. Barbara Fuchs akzeptierte daraufhin das Votum, schrieb aber noch einen Brief an den Betriebsrat, in dem sie ihre Auffassung ausführlich darlegte. Doch die Arbeitnehmervertreter leiteten das Schreiben kurzerhand an die Geschäftsführung weiter.

Ginge es nur um die Kündigung von Barbara Fuchs durch den Kulturverein, wären die Frontlinien klar: Eine unbewegliche Vereinsbürokratie auf der einen, eine unbequeme, vielleicht auch unberechenbare Mitarbeiterin auf der anderen Seite und dazwischen eine hilflose Mitarbeiterschaft.

Um etwas ganz anderes geht es allerdings einigen der Unterstützer von Fuchs, die wie Bettina Wegner und Wolfgang Thierse über Bärbel Bohley oder Konrad Weiß die Kündigung an die Öffentlichkeit getragen haben. Für Bettina Wegner, die gestern zu einer Pressekonferenz eingeladen hatte, stellt sich gar die Frage, ob einer Person wie Maja Wiens das moralische Recht zustehe, heute immer noch mit Jugendlichen zu arbeiten.

Wie gegenwärtig ist die Vergangenheit? Als es nicht mehr um Barbara Fuchs, sondern um Maja Wiens geht, ist aus der Pressekonferenz längst eine spannende Veranstaltung zum Umgang mit Stasi- Tätern und Stasi-Opfern geworden. Theoretische Einwände wie etwa der Publizistin Katharina Rutschky, die sich über eine lebenslange Vorverurteilung echauffiert, sind dabei selten. Insbesondere die Jugendlichen, mit denen Maja Wiens im Prenzlauer Berger „Media-Point“ arbeitet oder ehemalige Schüler der Carl- von-Ossietzky-Schule, kämpfen – teils unter Tränen – gegen die Angriffe, die ja auch im Namen ihrer Interessen vorgetragen werden. Für viele dieser Jugendlichen ist Maja Wiens dagegen eine „zweite Mutter“, zu der sie volles Vertrauen haben.

Einer von ihnen ist Benjamin Lindner. Lindner war einer jener Schüler, die wegen einer „illegalen“ Wandzeitung 1988 von der Pankower Carl-von-Ossietzky- Schule geschmissen wurden. „Erst durch Maja“, erregt sich Benjamin Lindner, „ist der Skandal damals öffentlich geworden.“ Eine andere Schülerin erinnert sich: „Ohne Maja hätten wir das nicht durchgestanden.“ Maja Wiens selbst hat ihre Stasi-Vergangenheit mit den Jugendlichen diskutiert. Und auch während einer öffentlichen Lesung in den Räumen des Kulturvereins hatte sie darüber gesprochen. Daß sie ihre IM-Tätigkeit der Belegschaft des Kulturvereins nicht offengelegt habe, empfindet sie heute als Fehler. Aber sie sagt auch: „Ich kann nicht vor jemandem, den ich erst kurz kenne, meine ganze Geschichte ausbreiten.“

Mittlerweile hat sich Barbara Fuchs bei Maja Wiens wegen des Tötungsvorwurfs entschuldigt. Es hätte genauer heißen müssen, sagt Fuchs, daß eine Frau, die aufgrund einer Denunziation von Wiens vierzehn Stunden lang von der Stasi verhört wurde, kurz darauf eine Fehlgeburt erlitten habe. Maja Wiens hört regungslos zu. Gegen den Vorwurf, ihr Ausstieg aus der Spitzeltätigkeit Anfang der Achtziger sei vorgeschoben gewesen, verwahrt sie sich allerdings aufs schärfste. Und mit ihr ihre Schüler: Als Philipp Lengsfeld, Sohn der Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld und selbst einer der Schüler, die 1988 in Pankow „geext“ wurden, bekanntgibt, daß er bei der Gauck-Behörde gar einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt habe, um „herauszufinden, ob Maja Wiens nicht damals immer noch für die Stasi gearbeitet hat“, protestieren andere Ossietzky-Schüler wütend. „Selbst du mußt doch zugeben, daß sie uns damals geholfen hat“, ruft einer Lengsfeld zu. Philipp Lengsfeld gibt es zu.

Doch dieser Teil der Geschichte von Maja Wiens, ihre Arbeit mit Jugendlichen rund um die Vorfälle an der Ossietzky-Schule, ihre Stasi-Opferakte, interessieren einige der Unterstützer von Barbara Fuchs wenig. Andererseits spielt für die Verteidiger von Maja Wiens die Kündigung von Barbara Fuchs keine Rolle. Für Barbara Fuchs fast schon eine absurde Situation: Sie hatte mit der Pressekonferenz gestern zwar jene überfälligen Diskussionen ausgelöst, die beim Kulturverein Prenzlauer Berg nicht geführt werden konnten, wollten oder durften. Gekündigt ist sie aber trotzdem. Aber auch Maja Wiens ist bald arbeitslos. Ihr Vertrag läuft zum 29. Februar aus.

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