piwik no script img

„Die Gefühle sitzen tief“

■ Ein Gespräch mit dem Formaltheatermacher Robert Wilson, dessen neues Musical „POEtry“ am Sonntag im Thalia Theater Weltpremiere feiert

Über dreieinhalb Jahre musste das Hamburger Publikum auf ein neues Werk des texanischen Bühnenarchitektur- und Lichtmagiers warten. Am 13. Februar um 19 Uhr hat im Thalia Theater nun POEtry Uraufführung, nach Time Rocker Robert Wilsons zweite Kooperation mit der Rocklegende Lou Reed, der diesmal auch die Texte schrieb – respektive bei der Hauptfigur Edgar Allan Poe entlieh. Die taz hamburg sprach mit Wilson über Poes Geheimnisse, verborgene Emotionen, andere Welten und den richtigen Tonfall von „Nevermore“.

taz hamburg: Wie würden Sie Ihre Haltung zu Edgar Allan Poe und seinem Werk beschreiben?

Robert Wilson: Für mich ist Poe ist einer der ganz großen Schriftsteller. Und ich glaube, da befinde ich mich guter Gesellschaft: Heiner Müller etwa bewunderte Poe geradezu. Als ich Heiner damals erzählte, dass ich vorhätte, etwas mit Poe zu machen, bestärkte er mich darin. Für mich ist das Interessante an Poe, dass er ein Geheimnis darstellt, das man nicht knacken kann, das Teil des kollektiven Unterbewusstseins ist. Es ist doch merkwürdig: Einerseits war er ein sehr universeller Geist, und andererseits wurde sein persönliches Schicksal so prägend für sein Werk. Poe ist voller Widersprüche. Und am faszinierendsten finde ich, dass es bei ihm eine ganz bestimmte Form von Ironie gibt – üblicherweise stellen wir uns Poe ja als eine sehr düstere Persönlichkeit vor.

In Deutschland ist Poe den meis-ten Menschen lediglich ein Begriff als Autor von Horror-, Abenteuer- und Detektivgeschichten, die eben spannend zu lesen sind. Die we-nigsten aber kennen seine überragenden Gedichte, die Maßstäbe setzten für Dichter in der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hat diese Defizit eine Rolle gespielt bei der Konzeption von „POEtry“, wie der Titel vermuten lässt?

Nein. Es ist ja so: Natürlich hat POEtry sehr viel mit Poe zu tun, aber letztendlich kreieren wir unsere eigene Welt. Wir versuchen ihn und sein Werk hoch zu achten, ohne uns allerdings in zu starke Abhängigkeit davon zu bringen. Wenn man also als Zuschauer etwas über Poe weiß, bekommt man einen anderen Blick auf das Stück; und selbst wenn man überhaupt nichts weiß, so hoffe ich, dass man etwas für sich findet. Theater sollte immer für alle zugänglich sein und auch dem „Mann von der Straße“ gefallen. Die Oberfläche muss einfach sein.

Nach welchen Kriterien haben Sie die „POEtry“ zu Grunde liegenden Erzählungen und Gedichte ausgewählt?

Das waren vor allem Entscheidungen, die Zeit und Raum betrafen, und dabei immer die Frage, wie sich was ergänzt und was am besten auf das andere folgen kann: Ist etwas dicht oder weniger dicht, heller oder dunkler, kürzer oder länger, lauter oder leiser, gibt es viele Figuren oder wenige? So ist die Struktur entstanden.

Stimmen Sie mit mir darin überein, dass eine der großen Parallelen in Ihrem Werk und dem von Poe das Fehlen jeglicher Erotik ist?

Lassen Sie es mich so sagen: Poe ist ein klassischer Autor. Nehmen Sie das Gedicht The Raven: Es ist ganz klassisch gebaut, wie ein Sonett von Shakespeare, es ist wie Musik. Die Konstruktion ist sehr formal, und das bedeutet auch Dis-tanz. Also kann man nicht sagen, dass die Erotik fehlt – das Sexuelle wird nur distanzierter betrachtet. Und diese Distanz besteht auch zu den Gefühlen. Gerade heute habe ich dem Schauspieler, der The Raven spricht, erklärt: Du darfst es nicht so expressiv machen. „Nevermore“ (melodramatischer Tonfall): Das ist falsch, ein Schwindel. Du kannst es stärker sprechen oder schwächer, heller oder dunkler, schneller oder langsamer. Aber sobald du einen emotionalen Ausdruck hineinlegst, zerstörst du Poes Sprache und die Musik darin.

Was nun meinen Umgang mit Gefühlen angeht: Sie sitzen tief, sie werden nicht veräußert. Dasselbe gilt für die Sexualität. Fast überall auf der Welt sehen wir nicht-formales Theater – das finde ich oberflächlich. Ich mache formales Theater, in dem das Emotionale ganz tief drinnen liegt. Im japanischen Theater weinen die Schauspieler auf offener Bühne – aber sie halten dabei die Hand vors Gesicht, sie behalten ihre Gefühle für sich. Das ist niemals so ein fürchterliches Geheule wie etwa bei Tschechow.

Eine weitere auffällige Verwandtschaft zwischen Ihnen und Poe sehe ich in der Bedeutung, die Sie dem Licht zuschreiben.

Auf jeden Fall: Auch Poe ist ein Lichtkünstler. Es nimmt seinen Leser mit in fremde Welten, in denen das Licht ein anderes ist und auch der Raum. Bei ihm leuchtet in der Finsternis immer noch ein Licht, und zwar ein ganz seltsames, und dieses Licht lässt das Dunkle sogar noch dunkler erscheinen. Das hatte ich während der Arbeit stets im Hinterkopf, aber ich versuche nicht, es zu illustrieren. Ich habe meinen eigenen Weg.

Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit mit Lou Reed seit „Time Ro-cker“ entwickelt?

Wir kennen uns jetzt viel besser. Es ist ein echtes Geben und Nehmen: Ich finde oft etwas zu laut oder zu leise, und Lou hat viele visuelle Ideen (schließlich ist er mit Andy Warhol groß geworden). Und wir treffen Entscheidungen auch unabhängig voneinander, was viel mit Vertrauen zu tun hat. Wir ergänzen uns einfach sehr gut.

Gibt es neue Pläne für Hamburg?

Vielleicht. Ich weiß nicht. Ich habe schon Gespräche geführt, aber es steht noch nichts fest.

Haben Sie bereits Kontakt mit Ulrich Khoun aufgenommen?

Noch nicht, doch ich freue mich auf das erste Treffen.

Keine Chance, vom Schauspielhaus oder der Staatsoper abgeworben zu werden?

Ich mag das Thalia, ich kenne die Leute hier sehr gut, ich weiß, wie das Haus funktioniert. Und die Leute hier kennen mich und wissen, wie ich arbeite, und unterstützen mich dabei. Das Thalia ist mein Zuhause geworden.

Gibt es derzeit einen Musiker, mit dem Sie gerne ein weiteres Musical hier machen würden?

Nein. Aber ich bin offen.

Interview: Ralf Poerschke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen