: Die Gebrüder Grimm und die Kommission
■ betr.: "Vorschlag für einen neuen Campus in Adlershof", taz vom 5.9.91
Betr.: »Vorschlag für einen neuen Campus
in Adlershof«, taz vom 5.9.
[...] Die betroffenen Studenten des Instituts für Biologie der TU möchten mit diesem Brief darauf aufmerksam machen, daß diese Planung, die auf den ersten Blick so einleuchtend und intelligent erscheint, aus der lehramtsbezogenen Perspektive unter einem ganz anderen Licht erscheint. Sie kommt aus der Grimmschen Geschichte von den Schildbürgern bedrohlich nahe, die zur Erhöhung der Effektivität ihrer Arbeit ein neues Rathaus bauten, dabei aber Türen und Fenster vergaßen. Machsen Sie sich aber selbst ein Bild:
Gegenwärtig findet die Lehrerausbildung an der TU schwerpunktmäßig in einem Gebäudekomplex in der Franklinstraße statt. Dort befindet sich auch das Institut für Biologie. Hier können fast alle für die Lehrerausbildung relevanten Fächer zentral an einem Ort studiert werden, von den Erziehungswissenschaften über verschiedene Zweitfächer bis zur Grundschulpädagogik. Es stellt sozusagen ein Lehrerausbildungszentrum dar, das auf diese Weise kurze Studienzeiten ermöglicht. Diese optimale Gebäudesituation aufzugeben hieße, dem erklärten Bemühen der Bildungspolitiker um kürzere Studienzeiten Hohn zu sprechen.
Die Lehrerausbildung insgesamt an die Humboldt- Universität (HUB) zu verlagern, würde darüber hinaus bedeuten, was die geisteswissenschaftliche Ausbildung (Erziehungswissenschaften, Didaktik usw.) angeht, diese in die Hände von Leuten zu legen, die zweifelsohne »ihren Schliff« in der totalitären Sozialismus-Ära bekommen haben. Wünschenswert?
Die Konzentration von Naturwissenschaften in Adlershof ist ausschließlich für Diplomstudenten sachlich gerechtfertigt. Eine angestrebte Kopplung von Diplom- und Lehrerausbildung zeigt sich in den Praxis, wie etwa Erfahrungen an der FU (Biologie) oder TU (Chemie) aus studentischer Sicht belegen, als hochgradig nachteilig für Lehramtsstudenten. (Mangelnde Praktikabilität der Konzeption einer parallel verlaufenden Ausbildung von Lehramts- und Diplomstudenten: unzureichende Ausstattung mit Praktikumsplätzen für Lehramtsstudenten, Kurse werden an den Erfordernissen von Diplomanden ausgerichtet, pädagogische Implikationen bleiben ausgeblendet.)
Abschließend fragt sich, warum ausgerechnet die TU Berlin ihre Ausbildung von Biologielehrern aufgeben und nach Adlershof an die HUB vergeben soll, da sie die einzige Uni in Berlin ist, die über ausgearbeitete Studienpläne im Bereich der (Biologie-)Lehrerausbildung verfügt.
Insgesamt fragt man sich, ob die Verantwortlichen in dieser BLHSK tatsächlich Experten im wahrsten Sinne des Wortes sind. Erfahrene — oder lediglich Tischplaner, ähnlich den Konstrukteuren der berühmten Fünf- Jahres-Pläne des an den Realitäten und Menschen vorbei sehenden und damit letztlich scheiternden Sozialismus.
In dem Bericht über die Ergebnisse der BLHSK wurde darauf hingewiesen, daß der Senat kürzlich beschlossen habe, er wolle den Ratschlägen der Experten folgen. Wenn dem so ist, sollten wohl die betroffenen Studenten in die Planung miteinbezogen werden, denn wer ist Experte für die Praktikabilität von Studienplänen, wenn nicht sie! Es bleibt zu hoffen, daß die Verantwortlichen diese Überlegungen bei ihrer Entscheidung einer Verlegung des Instituts für Biologie der TU nach Adlershof mit einbeziehen und dem gesunden Menschenverstand folgen statt welt- und menschenferner Blütenträume von bürokratischen Technokraten.
Deshalb hier unser Kompromißvorschlag: Wenn tatsächlich (??) erforderlich, Angliederung des Instituts für Biologie an die HUB, aber gleichzeitig Beibehaltung des Standortes Franklinstraße und damit Gewährleistung der optimalen Anbindung an die Lehrerausbildung der TU. Hierdurch könnte sowohl die optimale, kurze Studienzeiten ermöglichende Gebäudesituation erhalten als auch (Umzugs-)Kosten gespart werden, Geld, das in den neuen Bundesländern dringend gebraucht wird. Professoren, die einen Diplomstudiengang in Adlershof betreuen, könnten zu zeitweiligen Lehrveranstaltungen an die Franklinstraße kommen, statt die Franklinstraße zu ihnen. Die
Studentischen Vertreter am Institut für Biologie
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