Politik: DieFußfesselkannhelfen
Statistisch gesehen werden jede Stunde in Baden-Württemberg zwei Frauen von ihren Partnern geschlagen. Um Weihnachten herum steigen die Zahlen. Künftig wollen Grüne, CDU, SPD und FDP härter gegen Täter vorgehen.
Von Johanna Henkel-Waidhofer↓
Das Problemdickicht ist enorm, eine substanzielle Verbesserung der Situation, wenn überhaupt nur in Generationen zu erreichen. Was müsste getan werden, um Gewalt gegen Frauen einzudämmen? Jungen müssten zu Männern erzogen werden, die nicht zur Faust, zum Alkohol oder zu beidem greifen, um Stress und Frust zu entkommen. Frauen müssten grundsätzlich Erwerbsbiographien offenstehen, die finanzielle Abhängigkeiten entschärfen oder gar nicht erst zulassen. Die „Istanbul-Konvention“ zum Kampf gegen Partnergewalt und zur Schaffung von ausreichend Frauen- und Kinderhausplätzen, müsste konsequent umgesetzt werden. Und nicht zuletzt: Deutlich mehr Geld müsste in Aufklärung und Prävention gesteckt werden.
Immerhin hatte noch die rot-grüne Minderheitsregierung im Bund vor einem Jahr mit einem neuen Gewalthilfegesetz erstmals einen Rechtsanspruch auf Schutz, kostenlose Beratung und Hilfe beschlossen. Seit wenigen Wochen ist bundesrechtlich auch ein in Spanien bereits seit 16 Jahren erprobtes Modell festgeschrieben: Nach richterlicher Anordnung können Männer zum Tragen einer Fußfessel verpflichtet werden. Die wird in Echtzeit über Satellit geortet, und wenn der Mann sich dem potenziellen Opfer nähert, wird Alarm ausgelöst und sofort zugegriffen. Die Frauen können sich zusätzlich mit einem Empfänger ausstatten lassen, der ebenfalls anschlägt.
Mehrere Bundesländer, darunter Schleswig-Holstein, Sachsen und Bayern, haben ähnliche Regelungen verabschiedet und damit die elektronische Überwachung über den bisher eng begrenzten Kreis terroristischer Gefährder:innen hinaus deutlich ausgeweitet. In Baden-Württemberg gehen die vier demokratischen Fraktionen im Stuttgarter Landtag noch einen Schritt weiter mit der Erstellung eines Bewegungsbildes. „Wir müssen jede Möglichkeit nutzen, damit die Opfer künftig mit etwas weniger Angst leben können“, erklärt Isabell Huber (CDU) in der letzten Plenarwoche vor Weihnachten.
„Manche Männer sind einfach rabiater“
Die frühere Generalsekretärin der Partei im Südwesten ist eine jener Politikerinnen, die den grundsätzlich anderen Umgang mit Gewalt in der Familie konsequent verfolgt haben, gemeinsam mit der Fraktionsvize Christine Neumann-Martin oder der Kirchheimer Abgeordneten Natalie Pfau-Weller. „Die Gewalt gegen Frauen nimmt stetig zu“, warnt Huber. Sie sei ein wachsendes Problem und der Handlungsbedarf immens.
Was hierzulande auch am Aufholbedarf liegt. Der ist besonders groß, weil gerade die CDU über viele Jahre hinweg versuchte, Partnergewalt zu negieren oder zumindest kleinzureden. Anfang der Achtziger Jahre wollten die bürgerlichen Parteien im Stuttgarter Gemeinderat die Einrichtung des ersten Frauenhauses gar verhindern. Es war die Zeit nach dem Wechsel der FDP von der SPD an die Seite der Union in der Bundesregierung, in der Petra Kelly oder Waltraud Schoppe (beide Grüne) im Bundestag Fassungslosigkeit, unverschämte Belehrungen oder schallendes Gelächter in den Reihen von CDU/CSU und FDP auslösten, wenn sie forderten, Vergewaltigung in der Ehe ins Strafgesetzbuch aufzunehmen.
Sogar noch gut zehn Jahre später hatte sich an dieser Geisteshaltung unter Bundestagsabgeordneten aus dem Südwesten kaum etwas geändert. Wolfgang von Stetten (CDU) sorgte bei einschlägigen Debatten mit Sätzen wie „Der Ehemann ist nicht darauf aus, ein Verbrechen zu begehen – manche Männer sind einfach rabiater“ für Schlagzeilen. Der Freiherr aus Künzelsau, Jurist und Obmann der Union im Rechtsausschuss, meinte 1995, er müsse in der sich zuspitzenden Debatte mit einem Brief seine gesamte Fraktion an seiner Ansicht teilhaben lassen, dass es in einer Ehe dazugehöre, „die ‚Unlust‘ des Partners zu überwinden“.
1997 war es dann doch endlich so weit. Ein Badener, Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble, gab die Abstimmung über einen Gruppenantrag frei, nachdem Abgeordnete mit Briefen aus Frauenverbänden überschwemmt worden waren. Für die Strafrechtsänderung, die Vergewaltigung in der Ehe strafbar machte, stimmte eine große Mehrheit, darunter Schäuble selber, während ein gutes Dutzend baden-württembergischer CDU-Abgeordneter sich enthielt oder dagegen votierte – auch der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz.
Für die Südwest-CDU blieb das Thema Partnergewalt ein sperriges. Erst Grün-Rot bekannte sich 2011 zum Ausbau von Frauenhäusern und Frauennotaufnahmeplätzen. Eingeführt wurde ferner ein landesweiter Notruf. Seit 2013 besteht die bundesweite Notrufnummer 110 016 mit Hilfs- und Beratungsangeboten in 18 Sprachen. 2014 verabschiedeten Grüne und SPD in Baden-Württemberg den ersten Landesaktionsplan, der im vergangenen Sommer, wie im Koalitionsvertrag versprochen, fortgeschrieben wurde.
Reaktionärer Sexismus aus den USA
Noch immer dünn sind Forschungsergebnisse. Wie komplex Forschungsvorhaben sind, zeigt sich an der Universität Tübingen mit dem Projekt „Femizide in Deutschland (FemiziDE)“. Das dortige Institut für Kriminologie hat gemeinsam mit dem Kriminologischen Institut Niedersachsen 292 Tötungsdelikte aus dem Jahr 2017 durchleuchtet. „Es genügt nicht, das patriarchale Geschlechterverhältnis lediglich normativ zu delegitimieren – die Gleichberechtigung der Geschlechter muss auch in der Gesellschaft und in den Köpfen ihrer Mitglieder ankommen und verwirklicht werden“, heißt es in der jüngst vorgestellten Studie. Besonders besorgniserregend sei vor diesem Hintergrund, „dass in den vergangenen Jahren in Europa und den USA autoritäre politische Kräfte erstarken, die traditionelle Geschlechterrollen und sexistische Einstellungen auch in westlichen Demokratien wieder gesellschaftsfähiger machen beziehungsweise machen wollen“.
Zwei Aspekten gebührt besondere Beachtung, gerade im Zusammenhang mit den Neuerungen im Südwesten. „Eine verstärkte Sensibilisierung der Polizeibehörden für die Dynamik und das Eskalationspotenzial von Partnerschaftsgewalt könnte dazu beitragen, Risikosituationen frühzeitiger zu erkennen“, lautet eine der Empfehlungen der Studie. Im Land kann auch die Polizei die Fußfessel beantragen, um betroffene Frauen vom Entscheidungsdruck zu befreien. Und noch einen Rat geben die Tübinger Forscher:innen: „Um ein vertieftes Verständnis zu erlangen, wären deutlich umfangreichere und systematischere Datensätze und weitere qualitative Forschung erforderlich.“
Gerade zu Bewegungsbildern. Denn in der Landtagsanhörung zum neuen Polizeigesetz haben Fachleute auch davor gewarnt, dass zur Tat Entschlossene sich bis zum Tag X, an dem das grundsätzlich befristete Tragen der Fußfessel endet, verstellen könnten. Oder dass außerhalb des Radius von 300 oder 500 Metern rund um die gefährdete Partnerin, die Männer nicht betreten dürfen, sehr wohl Ausspähungen möglich sind. Stefanie Grünewald, Professorin und Kriminalitätsforscherin an der Uni Hamburg, gibt aber auch zu bedenken, dass solche Bewegungsbilder die Persönlichkeitsrechte des potenziellen Täters unzulässig tangieren können. „Wir bewegen uns im Spannungsfeld zwischen den Grundrechten der von den Maßnahmen betroffenen Personen und der zu Schützenden.“
Vor Baden-Württembergs früherem Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) stammt der Satz, wer den Rechtsrahmen dehnen wolle, müsse ihn ausleuchten. Genau dazu hat sich Julia Goll (FDP) entschlossen. Die frühere Staatsanwältin und heutige Fraktionsvize ihrer Partei im Landtag stellte ihre Bedenken in einer Risikoabwägung hintan, um den gemeinsamen Gesetzentwurf mit Grünen, CDU und SPD nicht zu gefährden und „möglicherweise irgendeine Maßnahme zu unterlassen, die für einen wirklichen Schutz von Frauen und von Kindern sorgt“.
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