: Die Freude am Kind
■ Eine neue Welle amerikanischer Familien-Filme erreicht unsere Kinos
Während amerikanische Ärzte an Embryos rumbasteln, während verschärfte Anti-Abtreibungsgesetze in Arbeit sind, produziert das Hollywoodfließband eine unaufhaltsame Blechlawine aus niedrigtourig fahrenden kleinen Glücksversprecheungen für die große Besatzung (mindestens zwei Kinder) und in großer Besetzung (Jane Fonda, Robert de Niro, Glenn Close, Tom Hulce usw.).
Der Mensch, so suggerieren diese Filme, ist erst komplett und wirklich glücksfähig im Ensemble: Frau, Mann, Kind(er). In Second Hand Familie z.B. quälen sich Glenn Close und James Woods mit dem vergeblichen Versuch, ihre großartige harmonische Ehe durch ein Kind zu komplettieren. Dabei scheuen sie nicht die technische Hilfe der künstlichen Befruchtung, noch die bürokratische zur Vermittlung einer werdenden Mutter, um dann deren Kind zu adoptieren. Voller Verzweiflung sehnen und weinen sie sich durch ihr unerfülltes kinderloses Leben, nur im Kind sehen sie den Sinn ihres Lebens. Was mag wohl Glenn Close - eine wirklich fantastische Schauspielerin - denken, wenn sie mit vor Rührung glänzenden Augen ein Strampelhöschen betrachtet, wenn ihr gesamtes Darstellungsvermögen der Vorfreude auf das Adoptivkind gewidmet ist?
Der zweite Teil des Films ist ein Beitrag zur Abtreibungsdebatte: Wer aufgrund seiner sozialen Situation keine Kinder großziegen kann, soll sie doch einfach für die Begüterten zur Welt bringen. Abtreibung kommt nicht in Frage, die Kinder können ja umverteilt werden. Das gelobte Familienglück, so behauptet der Film außerdem, ist nur für jene da, die es sich leisten können.
Noch deutlicher wird diese These in Stanley & Iris vertreten: Nicht mehr die Liebe führt Robert de Niro und Jane Fonda zusammen, er darf sie erst freien, nachdem er es in der Berufswelt zu etwas gebracht hat und sie mit dem eigenen Auto ins neuerworbene Eigenheim holen kann.
Die Freude am Kind ist Thema in Eine Wahnsinnsfamilie, einem Generationen-Lachschinken, der Freud und Leid in abendfüllende positive Vibrations verwandelt: Wann immer ein Problem auftaucht mit den Kleinen, und es gibt eine Menge davon, kann der Zuschauer herzlich lachen. So werden die Schwierigkeiten gezeigt und gleichzeitig unter den Tisch gekehrt: Emotionale Störungen, Spielsucht und andere Kleinigkeiten sind nur dazu da, um belacht zu werden, worauf sie sich irgendwie im Familiensinn auflösen.
Natürlich sind diese Familienfilme nicht reine Propaganda; sie vergrößern reale Bedürfnisse. Sie projizieren das Bedürfnis nach Stabilität, die die Gesellschaft nicht bieten kann, in den privaten Bereich.
Die Zeit der bunten Vögel gibt auf seine süßliche Art am meisten von dieser Beziehung der Fanilie zur amerikanischen Realität preis. Er zeigt, daß der plötzliche Verlust von Arbeit und Besitz, der in Amerika in den letzten Jahren viele bedrohte, in dem Land, in dem es keine soziale Sicherung gibt, Menschen über Nacht auf der Straße landen läßt. Da kann denn nur noch eine wunderbar solidarische Familie helfen.
Gunter Göckenjan
Jonathan Kaplan: Second Hand Familie, mit James Woods und Glenn Close, USA 1989, 95 Min.
Martin Ritt: Stanley und Iris, mit Robert de Niro und Jane Fonda, USA 1989, 104 Min.
Ron Howard: Eine Wahnsinnsfamilie, mit Steve Martin und Dianne Wiest, USA 1989, 124 Min.
John Borrman: Die Zeit der bunten Vögel, mit Una Thurman, USA 1990.
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