: „Die Frau ist mutig, die zieht ihr Ding durch“
■ Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) schlachtet eine heilige Kuh nach der anderen. Ihre Sparpläne provozieren die Parteigenossen – und verschaffen ihr Respekt
Das hatte sich noch niemand getraut. Schonungslos tischte die Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) den GenossInnen beim Parteitag die unbequemen Wahrheiten auf: Die Haushaltslage ist dramatisch, die Medizin bitter.
Sie solle auf die Partei zugehen, deren Seele streicheln, war ihr geraten worden. Schon beim letzten Parteitag hatte sie sich in die Nesseln gesetzt, als sie kundtat, daß gutverdienende Eltern durchaus in der Lage sind, selbst für Schulbücher aufzukommen. So manche Genossen sahen bei dem entschiedenen Sparkurs der Finanzsenatorin Grundwerte der SPD wie die Chancengleichheit in Gefahr. Doch sie dachte gar nicht daran, Samthandschuhe anzuziehen. „Ihr könnt nicht von mir erwarten, daß ich angesichts der Lage in der Stadt aus dieser Halle eine Kuschelecke mache“, sagte die 41jährige. „Die Krankheit heißt Wirklichkeitsverweigerung“, diagnostizierte sie und rief die Delegierten auf: „Ich bitte euch alle, macht die Augen auf, schaut auf die Zahlen.“
Ernst und nahezu bewegungslos sprach die zierliche Frau. Während der SPD-Bundesvorsitzende Oskar Lafontaine, der nach ihr redete, wie ein Gummibällchen hinter dem Rednerpult hin und her hüpfte und die Delegierten immer wieder mit Anekdoten erheiterte, verzichtete sie während ihrer 40minütigen Rede auf jegliche Gesten. Mit beiden Händen auf das Rednerpult gestützt, schlachtete sie eine heilige Kuh nach der anderen: Sie will öffentliche Wohnungen verkaufen und schloß selbst die weitere Schließung von Theatern oder Opernhäusern nicht aus.
Ihr Leitmotiv heißt: Wir müssen uns selbst helfen, nicht auf Bonner Finanzspritzen hoffen. Dabei will sie nicht den Rückbau, sondern den Umbau des Staates. „Wir müssen wegkommen von dem Gedanken, daß sozialer Fortschritt in kostenloser Allgemeinversorgung besteht.“ Der Gedanke ist für viele Delegierte noch gewöhnungsbedürftig. In einer Partei, die von ihren Mandatsträgern in erster Linie erwartet, daß sie Parteitagsbeschlüsse umsetzen, war Fugmann- Heesings Rede eine gezielte Provokation. Es bedurfte wohl eines politischen Neuzugangs, um alte Spielregeln zu brechen. Die frühere hessische Finanzministerin hat keine Hausmacht in der Partei, was den Vorteil hat, daß sie weniger Rücksichten zu nehmen braucht. Als sie Ende Januar als Senatorin nach Berlin geholt wurde, sorgte die promovierte Juristin in Windeseile für einen Kassensturz. Nachdem ihr Vorgänger Elmar Pieroth (CDU) den Ernst der Haushaltslage über Jahre verschleiert hatte, legte sie das Milliardendefizit offen. Anfangs hatte ihr dies hohe Popularität eingetragen, doch in der letzten Zeit war ihr harter Sparkurs vom Koalitionspartner und auch aus den eigenen Reihen kritisiert worden.
Den Vorwurf, die Stadt mit ihrer Konsolidierungspolitik konzeptionslos kaputtzusparen, hat sie mit dieser Rede entkräftet. Indem sie sich gegen den von vielen GenossInnen befürchteten sozialen Kahlschlag aussprach und statt dessen einen Umbau überkommener Strukturen forderte, präsentierte sie sich als Modernisiererin. Daß sie dabei aufs Ganze ging und ihr politisches Schicksal damit verknüpfte, quittierten die Delegierten mit kräftigem Beifall.
Fugmann-Heesings Rede löste Nachdenklichkeit aus, aber keine übermäßige Sympathie. Das lag auch an der unterkühlten Art, mit der sie sprach. „Ich bin Sozialdemokratin, und mich zerreißt es, wenn es eine Differenz gibt zwischen mir und der Seele der Partei“, sagte sie. Doch selbst einen so emotionalen Satz sprach sie ohne innere Regung aus. Bei manchen Delegierten hatte man den Eindruck, als würden sie sich insgeheim eingestehen, daß die Frau so unrecht in vielem nicht hat. Nur zugeben mag man es noch nicht.
Mit Standing ovations, die Lafontaine einheimste, konnte Fugmann-Heesing nicht rechnen. Sie wertete den verhaltenen Beifall als „Bestätigung“ ihres Kurses. Was vielleicht mehr zählt: Mit ihrer couragierten Rede hat sie sich den Respekt der Delegierten erkämpft. „Die Frau ist mutig, die zieht ihr Ding durch“, sagte ein SPD-Abgeordneter anerkennend. Dorothee Winden, Berlin
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