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Die Frau, die die Tomate warf

■ Sigrid Damm-Rüger ist tot. Ihr Tomatenwurf auf einen Führer der Studentenbewegung war der Auftakt für die autonome Frauenbewegung

Berlin (taz) – Zu Beginn der Studentenbewegung im Jahre 1965 war sie als Sprecherin der Philosophischen Fakultät „eine der bekanntesten Aktivistinnen des SDS“ an der Freien Universität in West-Berlin. „Fast bekannter als Rudi Dutschke“, sagt der damalige SDS-Kämpfer und jetzige SPD- Vorständler Tilman Fichter. Eine von ihr geworfene Tomate ging damals durch die Weltpresse, ihr Aufklatschen war die Initialzündung für die autonome Frauenbewegung. Sigrid Damm-Rüger starb jetzt mit 57 Jahren in Berlin an Krebs.

Es war auf der letzten ordentlichen Delegiertenkonferenz des SDS im September 1968 in Frankfurt am Main. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke hatte die Außerparlamentarische Opposition ihre Power verloren und verzettelte sich in internen Hahnenkämpfen. In die allein von Männern bestrittene Debatte um eine Selbstauflösung platzte ein Auftritt der heutigen Filmemacherin Helke Sander. Als Delegierte des „Aktionsrates zur Befreiung der Frauen“ forderte sie lautstark eine Berücksichtigung „der Interessen von Frauen und Müttern“ und verlangte von den Männern, „daß unsere Problematik inhaltlich diskutiert wird“. Aber die mochten nicht mal zuhören. Die Zuhörerin Sigrid Damm-Rüger, damals hochschwanger und aß gerade Tomaten, als sie die Wut packte. Sie wollte eine ihrer Tomaten auf dem ungerührten Gesicht des damaligen SDS-Bundesvorsitzenden Helmut Schauer landen, weil es aber eine Spontantat war, hatte sie vorher nicht geübt. Das erste feministische Wurfobjekt der neueren Geschichte landete klatschend auf SDS-Führer Hans-Jürgen Krahl. Der aber war schwul und alles andere als ein Frauenfeind. „Der Krahl lag abends in der Badewanne und weinte“, erinnert sich Fichter. „Da kam die Sigrid und tröstete ihn. So war sie.“

Auch wenn sie den Falschen getroffen hatte, so war es dennoch die wohl bestplazierte Tomate der Weltgeschichte. „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!“, forderte fast zeitgleich eine Frankfurter Frauengruppe auf einem Flugblatt. Der SDS trat ab, die Frauen traten auf. Helke Sander wurde Mitbegründerin der Gruppe „Brot und Rosen“, andere Frauen gründeten Kinderläden, verlangten die Streichung des Abtreibungsparagraphen, erforschten die verdrängte Geschichte des weiblichen Geschlechts. Die anfangs so bekannte SDS-Sprecherin trat wieder in den Hintergrund der Geschichte. Die Berliner Feministin Halina Bendkowski wollte deren historische Tat indes nicht in Vergessenheit geraten lassen und lud sie 1988 zu einer ihr gewidmeten Veranstaltung ein. „Ganz bescheiden“ habe Sigrid Damm-Rüger berichtet. Die Mitbegründerin der Frauenbewegung widmete sich als Mitarbeiterin beim Bundesinstitut für berufliche Bildung und als ÖTV-Ehrenamtliche längst anderen Themen. Ute Scheub

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