: Die Frage des Maßstabs
betr.: „Hat die Schweiz es wirklich besser?“, taz vom 22. 8. 00
Der Politologe Peter Lösche greift in seiner Kritik der direkten Demokratie zu einem beliebten Trick: Er unterstellt, ihre Befürworter sähen in Volksbegehren und Volksentscheiden ein „Allheilmittel“ gegen die allgegenwärtigen Probleme der repräsentativen Demokratie. Dann stellt Lösche – welche Überraschung! – fest, dass auch Volksentscheide ihre Probleme haben. Ergo: kein Allheilmittel, also gleich die Finger davon lassen!?
Dieser Schluss ist reichlich naiv. Niemand behauptet ernsthaft, die direkte Demokratie sei einfach nur gut. Es stellt sich die Frage des Maßstabs: Kommt das Volk in der um Volksentscheide erweiterten Demokratie besser zu Wort als im rein parlamentarischen System? Verringern Volksbegehren den Einfluss von Lobbygruppen? Dabei müssen alle Effekte der direkten Demokratie in Rechnung gestellt werden.
Wer wie Lösche anführt, er kenne ein Beispiel, wo ein Volksentscheid nicht funktioniert habe, also müsse man das Instrument insgesamt in Zweifel ziehen, betreibt argumentatives Harakiri. Oder ist schon mal jemand auf die Idee gekommen, nach einer „unklugen“ oder lobbygesteuerten Entscheidung des Bundestags gleich die Abschaffung der repräsentativen Demokratie zu fordern?
Die Bewürworter der direkten Demokratie haben mittlerweile zahlreiche fundierte Studien vorgelegt, die die wohlgemerkt: alles in allem positiven Wirkungen von Volksbegehren und Volksentscheiden belegen. Dafür sprechen nicht nur die Schweiz und die USA, sondern auch die Bundesländer. Die Gegner des Volksentscheids begnügen sich hier zu Lande hingegen noch immer mit dem Herunterbeten der üblichen Vorurteile. Man würde sich ja regelrecht freuen, endlich mal eine fundierte, empirisch unterfütterte Studie vorzufinden, die argumentiert, warum die direkte Demokratie mehr schadet als nutzt. Vielleicht wird es diese Studie auch deshalb nie geben, weil die Erfahrungen in eine andere Richtung weisen. RALPH KAMPWIRTH, Bremen
[...] Sie behaupten unter anderem, dass nur das „große Geld“ Volksentscheide gewinnen könne, was sich besonders an den Erfahrungen in den US-Bundesstaaten festmache. Dies ist nachweislich falsch. Empirische Studien machen vielmehr deutlich, dass sich sehr viel mehr Initiativen aus der Bevölkerung als solche zum Beispiel aus der Industrie durchsetzen.
Lediglich bei der Blockade von Initiativen zeitigt die Chancenungleichheit in der Finanzausstattung Erfolge für die hier überlegene Seite. Auf der anderen Seite gibt es auch hierzu genügend Gegenbeispiele. So unterlag zum Beispiel die US-Versicherungsbranche trotz massiver finanzieller Überlegenheit in einem Volksentscheid gegen die Initiative eines Verbraucherverbandes.
Die von Ihnen als Beispiel angeführte Proposition 13 in Kalifornien war kein Entscheid über die Kürzung der Finanzausstattung der Schulen. Lediglich die nach Ansicht einer Bevölkerungsmehrheit überbordenden Steuern wurden gesenkt. Dass die Regierung darauf den Schulen nicht die ihnen gebührenden finanziellen Mittel zukommen ließ, ist nicht die Schuld der direkten Demokratie.
Das von Ihnen zitierte „ernüchternde“ Buch des US-Journalisten Broder zeichnet sich durch wenig Ahnung und viele empirisch leicht widerlegbare Thesen aus. Natürlich lässt sich das direktdemokratische System anderer Länder nicht 1:1 auf Deutschland übertragen. Aber auch hier hat die Renaissance der direkten Demokratie längst begonnen. In allen Bundesländern ist der Volksentscheid in der Verfassung verankert, bis auf Berlin kennen auch alle Länder den kommunalen Bürgerentscheid. Die Einführung des bundesweiten Volksentscheids ist nur noch eine Frage der Zeit. THORSTEN STERK,
Landesvorstand Mehr Demokratie e. V. in NRW
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