: Die Farbe der Armut
■ Olodum trommeln im großen Stil für ihr brasilianisches Selbsthilfeprojekt
Eine Rhythmusgruppe von über zweihundert Trommlern sprengt jede übliche Vorstellung von einer Band. Und so hat die brasilianische Gruppe Olodum auch einen deutlich kleineren Reisekader. Das ist vielleicht ein seltsames Wort für eine mitreißende Samba-Reggae-Band, die am Donnerstag in der Fabrik ihre aktuelle Platte Filhos Do Sol vorstellt, aber die Musiker sind nur ein Teil eines umfangreichen sozialen Projektes mit hohem politisch-utopischem An-spruch: 30 Prozent ihres Gewinns gehen an die gleichnamige Selbsthilfe-Initiative in Pelourinho, der Altstadt von Salvador de Bahia.
Die schöne aber verarmte Stadt mit ihren über zwei Millionen, hauptsächlich afrikanischstämmigen Einwohnern ist nicht nur die historisch erste Hauptstadt Brasiliens, sie ist heute vor allem das Zentrum des schwarzen Brasiliens. Hier liegen die afrikanischen Wurzeln des Landes und hier dient buchstäblich jenseits der drastischen Alltagsprobleme (wie Arbeitslosigkeit oder zigtausend Straßenkinder) der bewußte Bezug auf die synkretistische Religion des Candomble zur Identitätsfindung.
Der Bandname Olodum ist die Abkürzung des Wortes „Olodumare“ aus der westafrikanischen Yoruba-Sprache. Es ist die Bezeichnung für den Herrn aller Orixas, den Gott der Götter, die Personifizierung des Schöpfergeistes. Unter dessen Namen steht das ganze Projekt im barocken Altstadtviertel Salvadors. Dort ist Pelourinho, der Platz des ehemaligen Prangers, an dem noch vor wenig mehr als hundert Jahren die Sklaven ausgepeitscht wurden. Die Sklaverei wurde in Brasilien erst am 13.Mai 1888 abgeschafft, und noch heute sind die Schwarzen entgegen dem ersten Anschein nicht gleichberechtigt in die brasilianische Gesellschaft integriert. Es ist also mehr als nur südliche Lebensfreude, wenn Olodum gerade auf diesem Platz Hunderte von Jugendlichen zu Musikfesten zusammenbringt und vor allem versucht, den heimatlosen Straßenkindern zu helfen.
Das Selbsthilfeprojekt Olodum ist ein wesentlich erweitertes Konzept der für Brasilien typischen Karnevalsvereine. Olodum hat über dreitausend Mitglieder, bietet feste Arbeitsplätze in Fabriken, Läden und einem Verlag und betreibt eine Schule für fast vierhundert Kinder. Aber die wirtschaftlichen und sozialen Probleme können nur etwas entschärft werden, gelöst sind sie noch lange nicht. „Welche Farbe hat die Arbeitslosigkeit, welche Farbe haben die Bettler, welche Farbe haben die Favelas?“ fragt provokativ Direktoriumsmitglied Jorge Luiz Fernandez und sieht Olodum in seinen verschiedenen Aspekten als das wichtigste Symbol für Selbstbestimmung und Anti-Rassismus in ganz Brasilien. Ihm geht es nicht darum, einen neuen, schwarzen Rassismus aufzubauen, sondern um gegenseitigen Austausch ohne Dominanz.
So schätzte er auch die Zusammenarbeit mit Paul Simon auf The Rhythm of Saints im Jahr 1989, die die trommelgetriebene Musik der Gruppe über Brasilien hinaus bekannt machte.
Hajo Schiff
Fabrik, Do., 20.Juli, 21 Uhr; Spendenkonto 0710032401, Commerzbank (BLZ 10040000), Stichwort: Escola Criativa Olodum.
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