■ Die Familienkasse wurde schnell und geräuschlos begraben: Die Rentenreform steckt fest
Sie sollte das Sahnehäubchen auf einer ansonsten trockenen Torte sein, die von Blüm und den Rentenkommissionen vorgeschlagene Familienkasse. Man wollte aus ihr die Anrechnungszeiten für die Kindererziehung finanzieren – aus Steuermitteln und damit von der Allgemeinheit getragen. Eine vernünftige Idee, die im Kern einer steuerfinanzierten Bürgerrente für Mütter gleichgekommen wäre und einen Teil der Rente von der klassischen Bindung an Erwerbsarbeit abgekoppelt hätte. So schnell, wie die Familienkasse aber in die Diskussion eingebracht wurde, so schnell und fast geräuschlos wurde sie wieder begraben.
Erstaunlich ist, wie wenig Widerstand selbst Bundesarbeitsminister Norbert Blüm leistete. Dabei hatte die von ihm geleitete unabhängige Rentenkommission doch die Familienkasse vorgeschlagen, um den Solidaritätsgedanken des Generationenvertrags zu stärken. Absehbar war der Widerstand des Koalitionspartners FDP, der ohnehin stärker auf private Vorsorge setzt. Konfus war die Haltung der Union, die sich von Blüms Idee mit Fortdauer der Rentendiskussion distanzierte. Die einen, weil sie darin nur eine fiskalische Entlastung der Rentenkasse befürchteten, die anderen, weil sie die gesetzliche Rentenversicherung an sich für überholt halten.
Nun schrumpft die Rentenreform zum Rechenmodell ohne gesellschaftliche Perspektive, orientiert allein an den haushaltspolitischen Zwängen. Als Ersatz für die Familienkasse, die jährlich 15 Milliarden Mark aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer erhalten sollte, will die Union eine Summe ähnlicher Größenordnung aus Steuermitteln für die Übernahme sogenannter versicherungsfremder Leistungen im Haushalt einstellen.
Am Ende der Debatte bleibt der Eindruck, die Idee der Familienkasse sei nur geboren worden, um sich im Gegenzug zusätzliche Milliarden einzuhandeln. An eine Realisierung der Familienkasse aber mag niemand mehr glauben, auch wenn das Thema spätestens Mitte 1998 noch einmal diskutiert werden soll. Die Familienkasse, so hatte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth formuliert, sei „eine Einrichtung mit Zukunftsmusik“. Dafür aber fehlt dem Unions- Orchester auf absehbare Zeit der Dirigent. Severin Weiland
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen