■ Die FPÖ nimmt Platz im europäischen Haus, und niemand kann etwas dagegen tun. Noch meint man, nur die Augen verschließen zu müssen. Aber ohne Österreich ist die EU nicht handlungsunfähig. Aus der Gemeinschaft ausschließen will Haider-Land niemand mehr: Ein Fuchs im europäischen Hühnerstall
Der clevere Landeshauptmann aus Kärnten hat Europa ganz schön aufgemischt. Seine FPÖ hat noch nicht richtig zu regieren angefangen, aber verwirrte Demokraten schlittern schon allerorten übers europäische Parkett: Während in Wien am Donnerstag die französische und die belgische Delegation demonstrativ einem OSZE-Treffen unter österreichischem Vorsitz fernblieben, saßen die Sozialministerinnen dieser Länder einen Tag später in Lissabon mit ihrer österreichischen Kollegin Elisabeth Sickl am Konferenztisch. Gestrichen wurde lediglich das Familienfoto und der sonst bei solchen Anlässen übliche gemeinsame Ausflug der europäischen Familie. Jacques Chirac spielt also den strengen Papa, der die pubertierende Tochter am liebsten enterben will. Gerhard Schröder, kräftig unterstützt von Stoiber und Co, gibt die sanfte Mama, die fürchtet, Vaters Liebesentzug könne das Töchterchen erst recht auf die schiefe Bahn bringen.
Wer versucht, diesen diplomatischen Eiertanz nachzuvollziehen, wird zusätzlich über die Tatsache stolpern, dass bei der OSZE die Rede von Benita Ferrero-Waldner boykottiert wurde, die der Österreichischen Volkspartei angehört. Elisabeth Sickl hingegen ist eine Parteifreundin von Jörg Haider.
Bei dem Versuch, Österreich zu ächten, ohne die laufenden Geschäfte der EU in Gefahr zu bringen, haben sich die vierzehn Staaten heillos in der Zwitterstruktur der EU verstrickt. Auch als von Haider noch keine Rede war, konnten EU-interessierte Beobachter des Politikgeschäfts kaum nachvollziehen, warum beispielsweise die Milchquoten im Stil bismarckscher Geheimdiplomatie zwischen Ministern ausgehandelt werden, während es über die Verschrottung von Altautos eine breite europäische Debatte gibt.
In den taktischen Überlegungen gegenüber Österreich hat bis jetzt die Frage im Vordergrund gestanden, wie überzeugende Warnungen an die Adresse der ÖVP-FPÖ-Koalition formuliert werden können, ohne das große Europa-2000-Projekt, die Regierungskonferenz zur institutionellen Reform, in Gefahr zu bringen. Schon jetzt zeigt sich, dass die feine Unterscheidung zwischen bilateralen Gesten der Verachtung und einem gesamteuropäischen business as usual nicht funktioniert.
Europa-2000-Projekt soll nicht gefährdet werden
Denn die Übergänge zwischen beiden Ebenen sind fließend. Belgiens Innenminister etwa möchte am liebsten seinem österreichischen Kollegen den Zugang zum Interpolgegenstück Europol verweigern. Er fürchtet, Informationen über Mitglieder des rechtsradikalen Vlaams Blok könnten via Schwesterpartei FPÖ in die Hände der Verdächtigen geraten.
Sogar die Kandidatenländer geraten ins Schlingern, obwohl sie noch gar nicht zur EU gehören: Sie müssen sich energisch gegen Haiders erweiterungsfeindliche Sprüche verwahren und dürfen Österreich gleichzeitig nicht so verprellen, dass es die Regierungskonferenz blockiert, die Voraussetzung für den Beitritt neuer Mitglieder ist. Nach dem Motto „Think positive“ sieht der konservative Europarlamentarier Elmar Brok, der für die EVP an der Konferenz teilnehmen wird, in der nun entstandenen Lage eine Chance für Europa. Schockartig sei klargeworden, dass die Union in ihrer jetzigen Konstruktion durch die Regierung eines einzelnen Mitgliedslandes lahmgelegt werden könne.
Diese Erfahrung kann nach Broks Überzeugung zwei Prozesse beschleunigen, die bislang bei vielen Mitgliedsstaaten auf Vorbehalte stoßen: Noch immer müssen weite Bereiche der Gemeinschaftspolitik einstimmig im Rat beschlossen werden. Wenn Österreich von seinem Veto Gebrauch macht, sind sämtliche Entscheidungen zur Rechtspolitik, zur Steuerpolitik, aber auch zur Agrarpolitik über Jahre blockiert. Die Ausweitung der mit einfacher Mehrheit zu entscheidenden Bereiche könnte nun leichter erreichbar sein. Und ein Grundwertekatalog, eine EU-Verfassung könnte als europäischer Grundkonsens beruhigend wirken.
Der festliche Abschluss der Reformverhandlungen soll eine französische Party werden. Es ist kein Geheimnis, dass Jacques Chirac davon träumt, den Erfolg im Dezember in Nizza mit seinem Namen zu verbinden. Wenn Frankreich aber mit seinen Drohungen gegenüber Österreich Ernst macht, wird der Eiertanz auf europäischem Parkett im zweiten Halbjahr 2000 erst richtig interessant.
Der französische Europaminister Pierre Moscovici hat für die Zeit der französischen Präsidentschaft schärfere Maßnahmen gegen die neue Regierung in Wien angekündigt. Gleichzeitig ist Chirac auf Österreichs Stimme angewiesen, wenn er die Regierungskonferenz zum Abschluss bringen will. Einziger Ausweg wäre, Österreichs Stimmrecht im Rat auszusetzen. Ein Gedanke, der letzte Woche in Brüssel noch laut gedacht wurde. Das ist inzwischen aber eine Ewigkeit her.
Daniela Weingärtner, Brüssel
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