Press-Schlag: Die Extrawurst
■ Freiburger Amtsgericht sagt "Nein". Trotzdem darf Michael Groß Europameister im Schmettern werden
Des einen Leid ist des andern Freud, eine beliebte Devise, die besonders leidenschaftlich im Sport beherzigt wird. So auch bei den Deutschen Schwimm–Meisterschaften in Sindelfingen. Dort hatte sich der schwimmende Albatros und fliegende Schmetterling Michael Groß die Schulter verletzt und konnte über 200 Meter Schmetterling nicht an den Start gehen. Glück für den Hamburger Carsten Hoffmann. In Abwesenheit des übermächtigen mehrfachen Weltmeisters und Olympiasiegers konnte er die Qualifikationskriterien für die vom 16.–23.August in Straßburg stattfindenden Europameisterschaften - erster oder zweiter Platz in Sindelfingen und Richtzeit - erfüllen. Unverhofft winkte ihm die EM–Teilnahme, der absolute Höhepunkt seiner bisherigen Laufbahn. Doch er hatte die Rechnung ohne den Groß gemacht. Der mochte nicht einsehen, warum er ausgerechnet auf einen Start in seiner Lieblingsdisziplin verzichten sollte, verurteilte die Nominierungskriterien aufs schärfste und drohte mit einem Boykott der EM sowie des anschließenden Länderkampfs gegen die DDR. Das war zuviel für den Deutschen Schwimmverband (DSV). Das Prestigeduell gegen die östlichen Nachbarn ohne den Superstar - undenkbar. Mit 6:5 Stimmen beschloß das Präsidium, Michael Groß für Straßburg zu melden. „Ich bin der Meinung, man muß den sportlich Besseren zur EM schicken“, meinte DSV–Präsident Harm Beyer, Richter von Beruf, und fuhr fort: „Man darf sich nicht hinter formalistischen Argumentationen verstecken.“ Leidtragender dieser für einen Jünger der Jurisprudenz etwas merkwürdigen Einschätzung ist der rechtmäßig qualifizierte Carsten Hoffmann, der die Entscheidung, die ihn im Trainingslager ereilte, als „ziemliche Frechheit“ und das Vorgehen von Groß als „Erpressung“ empfand. „Michael hat noch genügend andere Strecken“, entschied der Hamburger, und anstatt die Koffer zu packen, eilte er zum Amtsgericht. Das entschied am Mittwoch, 18.30 Uhr, per Einstweiliger Verfügung: Hoffmann darf schwimmen. Doch das Gericht sitzt in Freiburg, Antragsgegner und DSV–Präsident Beyer hingegen in Hamburg. Und dort konnte er bis 24 Uhr einfach nicht gefunden, der Gerichtsbeschluß mithin nicht zugestellt werden. Um Mitternacht nämlich lief die Frist ab, in der Ummeldungen durch den Verband noch möglich waren. Gemeldet ist Herr Groß, der Start von Carsten Hoffmann fällt ins Wasser. Matti
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