■ Die Ewiggestrigen bellen, aber die Parade zieht weiter. Eine Antwort auf die Kritik am Christopher Street Day: Let's test it!
Christopher Street Day 1996: fünfzigtausend auf der Parade in Berlin, neuntausend in Hamburg und am kommenden Wochenende Zehntausende Schwule und Lesben in Köln. Noch nie haben die Schwulen- und Lesbenverbände so viele Menschen mit ihrem Ruf „Heraus zum CSD“ mobilisiert. Schwule und Lesben zeigen Flagge, sie feiern und demonstrieren Selbstbewußtsein. Sie sind damit sogar Schrittmacher einer neuen Demonstrationskultur, die Schluß macht mit miesepetrigen Trauerzugsritualen.
Doch dem Vorsitzenden des schwulen Veteranenverbandes Kraushaar gilt dieser „Firlefanz auf der Straße“ als „unpolitisch“. Solchen Leuten kann man es einfach nie rechtmachen: In den siebziger Jahren forderten sie wortgewaltig „Homos raus auf die Straße“ – freilich ohne nennenswerte Resonanz. Heute haben sich Schwule und Lesben massenhaft die Straße erobert – und jetzt paßt es wieder nicht, weil sie dabei einfach zu fröhlich sind.
Schon gar nicht gefallen Kraushaar die Forderungen der CSD- Parade nach Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften und einem Antidiskriminierungsgesetz. Das sei alles nur Anbiederung an die Gesellschaft. Alle haben sie wohl das falsche Bewußtsein: die fünfzigtausend Berliner DemonstrantInnen, die Tausende schwuler und lesbischer Paare in Skandinavien, die die Möglichkeit der „Homo-Heirat“ dort fleißig nutzen.
Einerseits jammert Kraushaar über Diskriminierung. Andererseits werden die Forderungen der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung als bloße „Selbstverständlichkeiten“ abgetan, „die eine demokratische Gesellschaft natürlich auch den Homosexuellen bereitzustellen hat“. Das ist nackte Antipolitik. Von selbst wird nichts „bereitgestellt“.
Anscheinend muß man daran erinnern, wie lange die Frauenbewegung um die „Selbstverständlichkeit“ Wahlrecht gekämpft hat, wie lange schon Migrantinnen um die „Selbstverständlichkeit“ Staatsbürgerrecht ringen. Niemand legt hier den Schwulen und Lesben Rechte in den Schoß.
Die Parole „Weg frei zum Standesamt“ hat eine gesellschaftspolitische Bedeutung. Vor fünfzehn Jahren galten homosexuelle Beziehungen dem Staat wie der Justiz noch als sittenwidrig. Mit einer Legalisierung homosexueller Partnerschaft wird dem Staat nach jahrhundertelanger Verfolgungsgeschichte eine positive Anerkennung der Lebensform Homosexualität zugemutet, rechtspolitisch ein point of no return.
Auch deshalb darf das Standesamt nicht länger Sperrbezirk für schwule und lesbische Paare sein. Denn das Eheverbot macht Homosexuelle zu Bürgern minderen Rechts. Evangelen-Bischof Huber verteidigt es, weil er die Minderwertigkeit homosexueller Lebensgemeinschaften gegenüber der Ehe festgeschrieben haben will. Und auch Unionsfraktionschef Schäuble meint, es bestünde „kein Interesse der Gemeinschaft daran, diese Beziehungsform unter den besonderen Schutz des Rechtes zu stellen“. Die schwulen Gegner dieses Rechts auf Eheschließung stecken da in einer seltsamen reaktionären Einheitsfront, in der die einen mit den sektiererischen Parolen der Siebziger, die anderen mit den vermufften Moralvorstellungen der Fünfziger jeweils den rechten Glauben über die Rechte der Menschen stellen.
Heute sind Schwule und Lesben gegenüber zahlreichen Diskriminierungen einfach rechtlos. Gleichberechtigung ist eine Voraussetzung für persönliche Emanzipation: Haben wir das Recht auf unserer Seite, können Schwule und Lesben im Alltag auch selbstbewußter und offener auftreten. Und deutlich machen: „Wir sind überall – im Taxi und Kaufhaus, in Bankfilialen und Werkzeughallen“.
Die internationale Entwicklung zeigt, daß die Stellung der homosexuellen Minderheit immer noch fragil ist. In den USA befindet sie sich im permanenten Kriegszustand mit christlichen Fundamentalisten. Auch in bürgerlichen Demokratien gibt es leider keine „selbstverständlichen“ Standards. Deshalb reicht es nicht aus, nur geduldet zu werden. Wir brauchen Akzeptanz, gleiche Bürgerrechte und gesellschaftliche Ächtung jeder Form von Diskriminierung und Gewalt. Auch hierzulande ist das Ausmaß antischwuler Gewalt erschreckend. Vielerorts ist es inzwischen gelungen, in Kooperation mit der Polizei Schwulenklatschern besser das Handwerk zu legen. Insgesamt stehen wir aber noch am Anfang eines Normalisierungsprozesses. Es gibt gravierende Ungleichzeitigkeiten. In Halle drangsalieren Polizisten mit einem fadenscheinig als Drogenrazzia deklarierten Großeinsatz die Besucher eines Schwulenlokals. In Köln trifft sich die Polizeiauswahl zu einem Freundschaftsspiel mit dem schwulen Fußballverein. So widersprüchlich kann das Leben sein. Für schlichte Gemüter mit Freund-Feind-Schema ist das freilich schwer auszuhalten.
Das gilt auch für die Debatte um Sponsoring durch die Wirtschaft. Kürzungen bedrohen viele schwule und lesbische Projekte. Sponsoring bietet eine Chance, aus der ABM-Kultur herauszuwachsen und sich vom Tropf des Staates unabhängiger zu machen. Ein Konkurrenzkampf der Markenartikler nach dem Motto „Wer hat das schwulenfreundlichste Image?“ würde auch nicht ohne Folgen für das gesellschaftliche Klima und die Politik der wirtschaftsfreundlichen Konservativen bleiben. Auch gay money makes the world go round. Let's test it! Wer nichts Neues versucht, hat schon verloren.
Die Kritik am jährlichen schwul-lesbischen Defilee, dieser Mischung aus politischer Demonstration und Rosenmontagszug andersrum, ist konsequenzlose Nörgelei und verstaubtes Veteranentum. Als Alternativprogramm bietet Kraushaar lediglich „gemeinsames Reden“ über die homosexuelle Lebensform. Warum nur will sich niemand mit ihm darüber unterhalten? Für Kraushaar herrscht „Stillstand“, Niedergang, Tiefstand der Bewegung. Er will einfach nicht verstehen, wer hier stillsteht. So ist es halt im Leben: Die Ewiggestrigen bellen, die Parade zieht weiter. Am Sonntag in Köln. Volker Beck
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