■ Die Europäer bestehen auf fairem Prozeß für PKK-Chef Öcalan: Ein Fall von Siegerjustiz
Hatte Andreas Baader einen fairen Prozeß? Das Bestehen der europäischen Institutionen auf einem fairen Prozeß für Abdullah Öcalan hat etwas Geschmackloses. Für den PKK-Chef kann es in der Türkei keinen fairen Prozeß geben – zumindest nicht im Sinne einer Unschuldsvermutung bis zur Verurteilung, entsprechender Behandlung während der U-Haft und ungehinderten Zugangs für die Anwälte, der nötig wäre, um seine Unschuld zu beweisen.
Diese Regeln gelten für Leute, die gegen das Strafgesetzbuch verstoßen haben. Öcalan aber hat gegen den türkischen Staat, gegen die türkische Armee Krieg geführt, und dabei tausendfach gegen das Strafgesetzbuch verstoßen. Die RAF wollte Mitte der 70er Jahre als Kriegsgegner der Bundesrepublik nach der Genfer Konvention behandelt werden. Das schien zwar absurd – und doch war der gesamte Stammheim- Prozeß von dem Widerspruch durchzogen, daß Leute, die ein politisches Ziel gewaltsam verfolgten, abgeurteilt wurden wie Bankräuber.
Dieser Widerspruch ist im Fall Öcalan durch keinen noch so fairen Prozeß zu überbrücken. Der PKK- Cehf wird von der großen Mehrheit in der Türkei, nicht nur von Armee und politischer Klasse, als die größte lebende Bedrohung der Republik empfunden. Er hat für einen kurdischen Staat gekämpft, und er hat verloren. Öcalan wird nicht einer Straftat verdächtigt, er hat einen 15 Jahre dauernden Krieg, den längsten und blutigsten Kurden-Aufstand in der Geschichte der Türkei, verloren. Jetzt wird er von den Siegern zur Verantwortung gezogen. Der Prozeß mag formal fair sein – am Ergebnis wird das nichts ändern, denn niemand bestreitet, daß Öcalan diesen Krieg geführt hat.
Deshalb wird der PKK-Chef zum Tode verurteilt werden, die Frage ist allein, ob er auch hingerichtet wird. Das ist eine politische Entscheidung, wie der gesamte Prozeß natürlich ein politischer Prozeß ist, bei dem es von türkischer Seite aus vor allem darum geht, dem Rest der PKK klarzumachen, daß eine Fortsetzung des Krieges sinnlos ist. Alle, die nun nach Beobachterdelegationen und fairem Prozeß rufen, wußten das natürlich schon, als Öcalan noch in Europa war. Zu diesem Zeitpunkt hätte man auf einen politischen Konflikt politisch reagieren können. Das wäre extrem schwer gewesen, weil die türkische Elite darin nur ihr Trauma bestätigt gesehen hätte, daß Europa letztlich die Türkei spalten will. Es hätte zu einem definitiven Bruch zwischen der EU und der Türkei führen können. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß Europa damit überfordert gewesen wäre. Dieser Realität sollte man nun auch ins Auge schauen.
Was in der Türkei jetzt passiert, geschieht nicht unter prozeßrechtlichen, sondern unter propagandistischen Gesichtspunkten. Die Prozeßführung darf kein Material für eine Kampagne gegen die Türkei bieten, und sie muß gleichzeitig den Anhängern Öcalans klarmachen, daß Aufgeben für sie die beste Wahl ist. Aus diesem Grund werden in der türkischen Massenpresse etliche angebliche Äußerungen Öcalans über die Sinnlosigkeit des Kampfes, über die Sackgasse, in der die PKK sich befindet, und die Abkehr vom Separatismus kolportiert. Außer wenigen Beteiligten weiß bis jetzt niemand, was Öcalan wirklich gesagt hat. Vielleicht hat er sich in den Vernehmungen tatsächlich so geäußert – immerhin verhandelt er zur Zeit um sein Leben. Um sich keine Blöße zu geben, will die Staatsspitze natürlich eine ordentliche Verteidigung für den PKK-Chef – aber keine Anwälte, die den Prozeß zu einem politischen Forum machen. Aus genau diesem Grund soll der Prozeß formal öffentlich sein, aber kein Tummelplatz internationaler Delegationen, die den PKK-Anhängern suggerieren, sie hätten noch eine große Unterstützung im Ausland.
Die einzige noch offene Frage ist, ob Öcalan gehenkt wird oder den Rest seines Lebens auf der Gefängnisinsel Imarli verbringt. Ihre Beantwortung wird letztlich auch davon abhängen, ob die Regierung, die Armee und die Mehrheit im Parlament glauben, daß ein Öcalan, den man henkt, zu einem Märtyrer wird – oder ob ein lebender PKK-Chef für immer ein unkalkulierbares Risiko bleiben würde. Erst einmal wird zur Zeit Baumaterial nach Imarli geschafft, was zumindestens dafür spricht, daß man sich mit der Antwort auf diese Frage Zeit nehmen will. Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen