Die Eurokolumne: Mit päpstlichem Segen
Noch fünf Wochen bis zur Fußball-EM: Die Eurokolumne (VI), diesmal von Amstetten ins inzestuöse Wien
Die Inzest- und Missbrauchsaffäre von Amstetten hat in Österreich Politik und Sport nicht nur aus allen Schlagzeilen verdrängt, sondern seltsam fern und unwichtig erscheinen lassen. Ohnehin wurde die nationale Fußballliga mit der Meisterschaft von Rapid Wien bereits Ende April entschieden. Vier Wochen vor Anpfiff der EM versuchen die Sportnachrichten, ihre Klientel mit so brisanten Meldungen wie der Naturrasen-Aussäung im Salzburger Stadion bei der Stange zu halten.
Nächste Woche müssen die Stadien der Uefa übergeben werden. Bis dahin wird das Ernst-Happel-Stadion in Wien noch der Kunst dienen. Am Pfingstsonntag wird der US-Fotograf Spencer Tunick eine seiner berühmten "Körperinstallationen" inszenieren. "Artwork with 1000 balls" soll es heißen und bezieht sich nicht auf die Anhängsel von 500 Männern, sondern auf eigens für das Shooting gestaltete Fußbälle. 3.000 Freiwillige sollen sich schon gemeldet haben.
Ganz anders bereitete sich ÖFB-Präsident Franz Stickler auf das Großereignis EM vor. Wie um den Fußball ins öffentliche Bewusstsein zurückzuholen, nahm er mit einigen Nationalspielern an einer Generalaudienz im Vatikan teil, um den allerhöchsten Segen seiner Heiligkeit zu erflehen. Papst Benedikt versprach tatsächlich, sich bei seinem Chef für den Erfolg der Austro-Kicker einzusetzen. Der 20-jährige Sturm-Graz-Verteidiger Sebastian Prödl, der nach der EM zu Werder Bremen wechselt, bekam nach dem Handshake mit dem Pontifex Maximus ganz weiche Knie.
Bis zum Auftaktspiel gegen Kroatien am 8. Juni hat er sich hoffentlich erholt. Große Wunder geschehen bekanntlich nur, wenn auch die irdischen Kräfte nicht versagen.
Anders als in der Schweiz, freut man sich in Österreich - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung - nicht auf ein "Fest der Völker". Keine Zeitung, keine Institution, keine Plakatwand heißt die ausländischen Teams willkommen. Vielmehr wird der Patriotismus angefacht, auch wenn die Erwartungen an die heimische Mannschaft - trotz himmlischen Segens - gedämpft sind. "Raiffeisen und ganz Österreich unterstützen die Nationalmannschaft", versichert ein Plakat, auf dem die Nationalmannschaft mit dem Raiffeisen-Giebelkreuz auf dem Trikot wirbt. Werbung mit der EM ist nur den Sponsoren des Großereignisses erlaubt. Trittbrett-Werbung, sogenanntes Ambush Marketing, wird von der Uefa verfolgt. Allerdings lassen sich findige Geschäftsleute etwas einfallen, um Sanktionen zu entgehen und doch am Fußballfleischtopf mitzunaschen. Geschützt sind nur Symbole wie die Zwillingsmaskottchen Trix und Flix sowie Begriffe wie "EM 2008" oder "Euro 2008", nicht aber beispielsweise das Wortungetüm "Fußballeuropameisterschaft 2008".
So lassen sich denn die Werbeprofis mehr oder weniger mühsame Bezüge zum Fußballfest einfallen. Waren Anzüglichkeiten in der Unterwäschereklame bisher vor allem bei Damendessous zu finden, so wird jetzt auch die Erotik des männlichen Körpers vereinnahmt. "An die Latte" heißt es auf einem Plakat des eher biederen Vorarlberger Trikotagenerzeugers Huber, auf dem ein Waschbrettbauch nebst Unterleib zu sehen ist - verhüllt mit einer roten Huber-Unterhose. Der ehemalige Stürmerstar Toni Polster etwa bewirbt "Fußballbrot vom Meisterteam" auf einem Poster mit elf Bäckern im Dress der Bäckereikette Ströck. Und auch das Unilever-Produkt Eskimo-Eis kommt nicht ohne Ball aus, denn es "hat Pfiff!".
Der quotenstarke Jugend- und Musiksender Ö-3 bereitet die österreichischen Fans mit seinen Aufklebern bereits auf drohende Enttäuschungen vor. Auf fußballförmigen Sprechblasen werden so trostreiche Sprüche angeboten wie: "Dafür können wir Ski fahren!" Eine Botschaft, die auch an Besucher aus dem Ausland gerichtet sein dürfte. Die Bundesregierung hat sich ebenfalls den Kopf zerbrochen, wie man das Land der Berge und Seen durch eine gezielte Imagekampagne von der ungewollten Berühmtheit durch den Tochterschänder von Amstetten befreien kann.
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