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Die Erben von Villa Kunterbunt

In der Rummelsburger Bucht mit Peter Pan und dem Heimathafen Neukölln: Da kommt viel Sehnsucht nach dem Vergangenen ins Spiel. Dunkle Wolken passen zum Stück

Auch ohne dass das Schiff ablegt, bleibt es eine stimmungs­volle Kulisse für Geschichten um Peter Pan Foto: Vronsky

Von Katrin Bettina Müller

Auf dem alten rostigen Kahn steht „Heimat“ an dem einen Ende, „Berlin“ am anderen. Als wollte das Schiff in der Rummelsburger Bucht Platzhalter sein für ein Berlin, das altert und verfällt. Und zwar genau hier, wo die Wasserstadt Rummelsburger Bucht in den letzten Jahrzehnten gebaut wurde, mit vielen neuen Wohnungen mit Wasserblick und maritim gewundenen Balkonen. Viele der Hausboote und Flöße, die sich am Ufer drängeln und Inseln im Wasser bilden, feiern den Retroschick, mit bunt gestrichenen Holzlatten, recycelten Fenstern, ausgesuchtem Trödel, als wären ihre Erbauer alle Erben von Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Und als müssten sie der Neuheit der Uferbebauung trotzen, dem Unverwohnten ein paar Kerben nahebringen, den Nutzungsspuren ihre Liebe erklären.

Zeit, hier herumzuschlendern, brachte der Besuch der Premiere von „Peter Pan“, einem neuen Stück vom Heimathafen Neukölln. Das Schiff, auf dem gespielt werden soll, ist auch ein Patchwork der Geschichte. Eigentlich sollte es um 19 Uhr losgehen mit dem Theater auf dem Wasser, aber noch wird geschraubt, geklebt, am Soundcheck gearbeitet und der Beginn um eine Stunde verschoben. Es gibt Probleme mit dem Motor, deshalb bleibt man am Ende lieber am Kai liegen, es gibt weniger Strom als gedacht, deshalb beleuchten Lampions und Teelichter die Szene, dunkle Wolken und Regen machen Sorge, Planen werden mit Lassoband befestigt an, ähm, Kabeln? Nun, wer Theater auf dem Wasser haben will, muss eine Spur Abenteuer in Kauf nehmen.

Als es dann beginnt, ist es sehr stimmig melancholisch. Regen rauscht, wir sitzen eng zusammengerückt fast im Trockenen unter einer Plane und folgen Alexander Ebert, einem Schauspieler und Sänger, durch seine Erzählungen von „Peter Pan – oder von einem, der auszog, das Sterben zu lernen“. Den Text für das Solo schrieb Vera Schindler, die Regisseurin Nicole Oder, bekannt vom Heimathafen, hat die kleine Schau inszeniert.

Die hat viel zu tun mit dem Ankern in der Rummelsburger Bucht, dem Umkrempeln der Stadtlandschaft, der Sehnsucht nach etwas Vergangenem, dem Gefühl von Verlust. Aber nur selten ist direkt davon die Rede, vielmehr vermittelt es sich über die Suche nach Peter, dem Sohn des Erzählers.

In immer neuen Varianten hebt Ebert, schmal und allein vor dem Mikrofon, an, in Liedern und Texten von Peter Pan zu berichten und dessen Abenteuer mit den umliegenden Inseln und deren Geschichten zu verknüpfen. Er greift dabei verschiedene Entwürfe der Figur auf, kehrt kurz zu ihrer mythischen Herkunft, dem bocksbeinigen Pan zurück. Das meiste aber ist schon angelegt vom Dichter J. M. Barrie, der Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder neue Varianten von Peter Pan erfand. Die Figur des kleinen Jungen, der fliegen konnte und nicht erwachsen werden wollte, verändert sich schon bei Barrie und auch an diesem Abend und vermischt sich zuerst mit dem Sohn Peter und schließlich mit dem Vater selbst. Peter Pan hilft ihm, an seinen Sohn zu denken, sein Verschwinden, seinen Tod in immer neue Bilder zu fassen.

„Peter Pan“ hat auch dunkle Seiten, die vom Schmerz und der Endlichkeit des Lebens handeln

„Peter Pan“ ist als Geschichte für Kinder am bekanntesten, aber sie hat dunkle Seiten, die von Verlust, Vergessen, Schmerz und Endlichkeit des Lebens handeln, oft in wunderbare Sätze gepackt. Da rennt ein zweijähriges Mädchen auf seine Mutter zu: „Ach, warum kannst du nicht immer so bleiben!“ Und „seither wusste Wendy, dass sie erwachsen werden musste. Das weiß man immer, wenn man erst mal zwei ist. Zwei ist der Anfang vom Ende“, zitiert der Erzähler.

Peter Pan verharrt an der Schwelle des Werdens, des Noch-nicht-Eintretens in das von Regeln der Vernunft geprägte Reich der Erwachsenen. Im Theaterstück werden daraus, dann doch sehr kurzgeschlossen, die Regeln des Kapitals. Und es ist der Vater, der ihnen nicht folgen will. Eine recht romantisierende Idee von Außenseitertum und Protest.

Drei Musiker unterstützen den Schauspieler bei seiner Geschichte. Es dunkelt, Lichter von Schiffen spiegeln sich im Wasser, Lichtflecken der Discokugel huschen über den Notizblock. Manchmal sind romantisierende Fassungen auch ganz schön.

Wieder am 7. und am 14. ­September, Abfahrt um 19 Uhr am Uferweg Alt-Stralau.

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