: Die Eigensinnige
Mit Sandrine Bonnaire widmet das Metropolis einer kantigen und spröden Aktrice eine Retro ■ Von Birgit Glombitza
Den Tod kennt sie wie der Bäcker das Mehl. Die Tragödie ist ihr Schatten, der Irrtum ihre Scham. Wo Sandrine Bonnaire im Kino auftaucht, geht es um das Widerstehen, das Überleben und, nicht zuletzt, um die Errettung des Eigensinns. Ein Unterfangen, das in ihren Filmen auch eine Sache der Vorbereitung zu sein scheint. Oft sehen wir Bonnaire, wie sie etwas präpariert und vorsorglich zurechtrückt, um schlimmere Miseren zu verhindern.
Sie bereitet die Krebszellen für den nächsten Tag vor (in Rivettes Geheimsache). „Sonst sterben sie", sagt sie und plant einen Mord. In Chabrols Biester hilft sie Isabelle Huppert beim Schlag gegen die herrschenden Klasse. Sonst findet die Wut keinen anderen Ausweg mehr. Als Jeanne d'Arc (in Rivettes Jeanne la Pucelle) sortiert sie ihr Kriegsgrät für die nächste Schlacht. Sonst gibt es keinen Gott mehr. Doch so oder so – mit Verlusten ist zu rechnen.
Die Welt der Sandrine Bonnaire ist, jedenfalls auf der Leinwand, immer bedroht. Von den Seuchen, von der Lüge, vom Irrglauben und natürlich vom Ende aller Gedanken. Ob als moderne Elektra in Geheimsache, die es gewohnt ist, die Wahrheiten ihrer mechanistischen Welt in den Händen zu halten, oder als Jungfrau von Orleans, die immer Krieg will, auch wenn die Fürsten zum Frieden raten. Jeanne d'Arc ruft zur Schlacht, so lange bis sie als Gefangene der Inquisition wieder in Frauenkleider gezwungen und vom Heldentod im Kampf ferngehalten wird. Jeanne d'Arc, die Ikone der Patrioten ebenso wie die der Résistance, der Katholiken und des Feminismus. Ein Mädchen für alle. Dabei zugleich eine Figur, die immer Gefahr läuft, als Heilige angehimmelt, als Symbol missbraucht und als Folklore verramscht zu werden.
Doch nicht mit Bonnaire. Mit ihr kehrt Patzigkeit und Stolz, Egozentrik, schlechte Laune und ein Heidenbammel in die historische Vorlage ein. Hat sie eben noch mit „Ich will Reims“ den Mund recht vollgenommen und bis in die Haarspitzen glühend von Tapferkeit und Mut gepredigt, jammert sie doch selbst ausgiebig beim ersten Kratzer. Mit ihr fällt die Heilige zurück auf den Boden. Und manches Mal meint man auf dem Gedankenlaufband hinter ihrer hohen Stirn bei der erfolglosen Suche nach einer Formel für den Ausnahmezustand mitlesen zu können. Bis aus heilloser Verwirrung eine Entscheidung reift, sie wieder einmal die Koffer packt oder das Schwert zieht.
Sandrine Bonnaire gibt immer die Grenzgängerin, die auf dem Minenfeld zwischen Logik und Mythos irrt, um sich am Unauflösbaren, am Widerspruch zwischen Idee und Leben zu entzünden und gelegentlich auch zu verglühen. Präzise, klar und mit ungeheurer Präsenz beseelt sie ihre Figuren unter der Regie von Agnès Varda, Rivette, Doillon, Chabrol, Techiné, Sautet oder Leconte und sorgt dabei dafür, dass nichts und niemand auch in der schlimmsten Zerstörung ihren Geschöpfen zu nahe kommt. Nicht die Kamera, nicht die Geschichte, nicht der Zuschauer.
Ob sie den Jesus im Frauenleib gibt oder die vom Schicksal gehörig zusammengestauchte Pennerin (Vogelfrei), die in einem Bacchanal dem Irrsinn des enthemmten Bürgertums begegnet, Bonnaires Spiel legt sie alle behutsam unter Glas. Mit Reinheit und Unschuld hat das nichts zu tun. Kalkül und Berechnung ist ihren Frauen nicht fern, solange es dem Überleben nützt. Und wenn sie sich als Alice in Monsieur Hire mit dem Stillschweigen in Person verlobt, um einer sicheren Strafe zu entgehen, ist sie bei diesem Kuhhandel sicher nicht das Schlachtvieh.
Mit Bonnaire, einer der Kantigsten, Sprödesten und Spannendsten unter den französischen Aktricen, zieht wenigstens ein Teil des französischen Autorenkinos aus, um den Eigensinn wieder unter Artenschutz zu stellen. Sandrine Bonnaires Gesicht ist groß genug für jede Leinwand. Wenn sie zögert, wartet, ausharrt. Oder wenn sie scheinbar nichts anderes tut, als den Kinobildern selbst zuzuschauen.
Vogelfrei: Mi, 1. 17 Uhr + Do, 2., 21.15 Uhr + Sa, 4. September, 17 Uhr Einige Tage mit mir: Do, 2. + Fr, 3., jeweils 17 Uhr + Mo, 6. September, 19 Uhr Die Verlobung des Monsieur Hire: Mo, 13. + Mi, 15. + Fr, 17. jeweils 21.15 Uhr + Do, 16., 19 Uhr + Sa, 18. September, 17 Uhr Biester: Fr, 17. + Mo, 20., jeweils 17 Uhr + So, 19., 21. 15 Uhr + Di, 21. September, 19.15 Uhr Geheimsache: Sa, 18., 19 Uhr + So. 19. September, 17 Uhr Johanna, die Jungfrau (Der Kampf + Der Verrat): Fr, 24. ab 19.15 Uhr + So, 26. September, ab 17 Uhr, Metropolis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen