: Die Dialekte des Körpers
Weit rumgekommen ist die Berliner Tanzcompagnie Rubato: Sie haben in China unterrichtet, in Kanada und Frankreich getanzt. Ein Ergebnis ist ihr Stück „Duty Free“, jetzt uraufgeführt im Theater am Halleschen Ufer
Die Sprache des Balletts ist Französisch, ein paar Jahrhunderte alt und voll der in die Luft geworfenen Verben. Der Ausdruckstanz drückt sich deutsch aus. Der Modern Dance wird in coolem Amerikanisch weitergegeben. In den zeitgenössischen Tanz sind alle drei Schulen eingegangen und ihre Herkunft spielt kaum noch eine Rolle. Im Butoh blitzt japanische Nachkriegsgeschichte auf, in den Martial Arts der Transfer asiatischen Kampfsports in den Westen. In den Sprachen des Tanzes überschneiden sich kulturelle und historische Räume.
Wie man aber dennoch die Prägung durch eine Kultur und eine eigene Geschichte in der Bewegung wiederfinden kann, hat die Tanzcompagnie Rubato beschäftigt. Das erfolgreiche Duo von Jutta Hell und Dieter Baumann tourt weltweit, hat in Schanghai im Auftrag des East Dance Theatre choreografiert, in Peking unterrichtet und in Guangzhou mit dem ersten modernen Tanzensemble Chinas gearbeitet. Ein Ergebnis ihrer Fragen nach dem Verhältnis des Globalen zum Topos des Lokalen ist ihr neues Stück „Duty Free“, uraufgeführt im Theater am Halleschen Ufer, mit Tänzern aus China, Lettland und Kanada.
„Duty Free“ ist sportlich, knackig, zärtlich und laut. Es gibt wundervoll vertrauensvolle Duette und skurrile anatomische Studien. Die vier Männer und zwei Frauen rennen über die Bühne, üben sich in Manndeckung und füllen den Raum mit plötzlicher Energie. Dann wie ein Punkt, ein einzelner Strich in der Landschaft, steht die Chinesin Zhou Niannian da und spaltet sich in einem senkrechten Spagat. Zwei Auftritte später führt sie einen indisch anmutenden Code der Finger vor, in der jeder noch so kleine Knochen signifikant wird. Hinter ihr stürzt der Kanadier Daelik vorbei, gezogen von seiner Hand, die sich in Isolationstechnik aus dem Körper davonmacht.
Keines dieser verschiedenen Konzepte von Körper und Energie wird als authentisches Material mystifiziert. Alles unterliegt vielmehr einer Manipulation des Tempos und einer Phrasierung, die mit harten Brüchen zwischen den schnellen Frequenzen und einer Zeitlupendehnung arbeitet. Körperzeiten und Raumzeiten brechen auseinander.
Dennoch bleibt die Geschichte hinter dem Stück – wie sie denn zusammenkamen, wo die Reibungspunkte lagen, was sie verwerfen mussten – interessanter als die Aufführung selbst. Sie ist zu wenig durchlässig gegenüber dem Prozess ihrer Entstehung. Die Personen verschwinden hinter den Tänzern. Das ist schade, weil man von den sympathischen Performern gern mehr erfahren hätte. Von Anna-Liisa Lepasepp zum Beispiel, Studentin des Dance Department der Pädagogischen Universität Tallinn. Sie bringt eigenwillige Chimären hervor, speist Orientalisches und Asiatisches ins Stakkato des Techno oder verbindet einen in abwehrender Kampfstellung verharrenden Oberkörper mit präziser Beinarbeit des Balletts. Suchbewegungen, man weiß nicht, wo sie ankommen. In Berlin ist sie schon in einem Stück von Thomas Lehmen aufgetreten, das die Unmittelbarkeit des Fußballs als intensitätsförderndes Mittel einsetzen wollte.
Zusammen hält das Stück die polternd beginnende Musik von Lutz Glandien, der aus einer intimen Nähe zu den Tänzern, ihren Stimmen, Körpergeräuschen und Lieblingsmusiken ein effektvolles Gewebe gesampelt hat. Verlangsamung, scharfe Akzente, die wie ein Blitz in den Raum fahren und Beschleunigungen, wie sie das Zeitalter der Schnellrechner hervorgebracht haben, strukturieren die Zeit und katapultieren das akustische Material in einen grenzenlosen Raum. In weiter Ferne, so nah.
KATRIN BETTINA MÜLLER
„Duty Free“, Theater am Halleschen Ufer, 16.–20. und 23.–27. Januar
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