Die Deutschen sind führend im Verbrauch: Deutsches Vorbild als Irrweg
Rechnet man den Ressourcenverbrauch, die Verschmutzung und den CO2-Ausstoß der Bundesrepublik global hoch, wäre der Planet längst kollabiert. Allein die Autodichte der Bundesrepublik, übertragen auf China, würde die Luftverpestung ins Unerträgliche steigern. Die Bundesrepublik exportiert nach wie vor FCKW. ■ VON ANNETTE JENSEN
In Nordrhein-Westfalen fahren, parken und stinken mehr Autos als in ganz Afrika, und allein Schleswig-Holstein hat mehr Blechkisten als China. Seit 1950 hat sich die Zahl der PKWs in den alten Bundesländern verfünfzigfacht — und insbesondere in Ostdeutschland rechnet sich die Automobilindustrie noch satte Gewinne aus. Schon 2010 sollen die Deutschen nach Vorstellung des Verkehrsministeriums 45,5 Millionen PKWs ihr eigen nennen, 1988 waren es „erst“ 32,9 Millionen. Beim internationalen Flugverkehr belegen die Germanen deutlich Platz eins. 21,6 Millionen Mal erhob sich ein Westdeutscher 1989 in die Luft, allein in Ägypten hat sich die Zahl der Pauschaltouristen von Rhein und Elbe seit 1975 verdreißigfacht. „Eine weltweite Übertragung unseres Verkehrssystems ist ohne ökologischen Kollaps nicht vorstellbar“, urteilt Rainer Bleischwitz vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Enegie — anders als Altbundeskanzler und 'Zeit‘-Herausgeber Helmut Schmidt, der kürzlich den expandierenden Straßenverkehr in Südchina bejubelte und sich über die fahrradfahrenden Pekinger mokierte.
Auch wenn aus dem einzelnen Auspuffrohr heute weniger Schadstoffe kommen als früher, so hat die Zunahme der Autos die technischen Verbesserungen längst zunichte gemacht. Fünfmal so viele Autos würden über den Erdball crossen, wenn das „Verkehrsmodell“ Deutschland weltweit übertragbar wäre. Und würde man überall den Verbrauch an Öl, Kohle und Erdgas pro Kopf auf das deutsche Niveau hochschrauben, müßte drei Mal so viel Energie verfeuert werden; in Ägypten würde sich der Verbrauch verneunfachen, auf den Philippinen läge er gar 21 Mal so hoch wie heute — eine Rechnung, die die von den Klimaforschern angenommenen Horrorszenarien noch weit in den Schatten stellt.
Das Wetter wird immer besser
Die renommiertesten Klimaforscher gehen bei ihren schlimmsten Prognosen davon aus, daß sich die CO2- Emissionen wie bisher entwickeln und die Länder der „Dritten Welt“ ihren Anteil an der Verdreckung nicht erhöhen. Aber schon für diesen Fall nehmen sie eine Erwärmung des Klimas um 4 Grad bis zum Ende des nächsten Jahrhunderts an — das ist genau der Temperaturunterschied von heute zur letzten Eiszeit: Der Meeresspiegel steigt um 70 bis 100 Zentimeter — die Malediven, Bangladesch und, für manche Deutschen wohl bedeutsamer, die Nordseeinsel Sylt versinken in den Fluten.
In der norddeutschen Tiefebene versalzen die Grundwasserbrunnen, Südspanien und -italien werden zu Steppen, die Sahelzone dehnt sich aus und im Nahen Osten geht das schon heute hart umkämpfte Wasser um weitere 20 Prozent zurück. Weltweit sinkt der landwirtschaftliche Ertrag um ein Drittel — eine weitere Verschärfung des Kampfes um Nahrungsmittel ist vorprogrammiert. Die Wälder, die allenfalls mit einem Temperaturanstieg von 0,1 Grad pro Dekade fertig werden können, wachsen nur noch langsam, immer mehr Arten sterben aus. Die borealen Wälder in Rußland und Kanada verschwinden ganz, weil sie auf eine jährliche Durchschnittstemperatur von 14 Grad angewiesen sind.
Aber nicht nur bei der CO2-Emission, sondern auch in punkto Müll sind die Industrienationen den „Entwicklungsländern“ weit voraus: im Schnitt schmeißen die BewohnerInnen der reichen Länder fünfmal so viel weg wie die Menschen in armen Regionen.
Der Norden müllt den Planeten zu
Jeder Durchschnittsdeutsche schleppt jeden Tag 1,2 Kilo Hausmüll zu seiner Tonne; rechnet man Produktionsabfälle, Gewerbemüll und Bauschutt dazu, müssen pro Kopf 11 Kilogramm entsorgt werden. Auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist dieser Wert inzwischen fast erreicht; vor dem Mauerfall lag er dank des SERO-Erfassungssystems immerhin um mehr als 55 Prozent niedriger.
Beim Sondermüll nimmt Deutschland eine noch weitaus deutlichere Spitzenposition ein: schätzungsweise 100 Kilo gefährliche Abfälle pro Kopf gehören zum Preis für den deutschen Wohlstand — dreißig Mal so viel wie im Weltdurchschnitt. Weltmeister ist Deutschland beim Sondermüllexport. Fast jede fünfte Tonne wird nach Osteuropa oder in die „dritte Welt“ abgeschoben.
Noch nicht darin enthalten sind die Pestizide, die häufig Abfallprodukte der chemischen Industrie sind und aus gutem Grund nicht mehr auf deutsche Felder gekippt werden dürfen. Dank Bayer, BASF, Hoechst und Schering ist Deutschland neben den USA und Japan der größte Exporteur und hat entscheidend dazu beigetragen, daß der weltweite Verbrauch zwischen 1975 und 82 um etwa 13 Prozent gesteigert werden konnte — mit fatalen Folgen für Menschen, Tiere und Pflanzen. Jahr für Jahr erleiden nach Berechnungen des „Pesticide Action Network“ mehr als 1,5 Millionen Menschen Vergiftungen durch Pestizide; 28.000 sterben an den Folgen. Aber auch schon die „normale“ Landwirtschaft ist ökologisch gesehen fatal. Durch die Zerschneidung von Flächen, Abholzung von Wäldern und Chemisierung des Lebensraums ist ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in Deutschland inzwischen ausgestorben. Der zur Ertragssteigerung allerorten benutzte Stickstoffdünger belastet die Atmosphäre und führt zu Nitratkonzentrationen im Grundwasser, das insbesondere für Kleinkinder gefährlich ist.
Auch an anderer Stelle hat die Industrie sich auf den Export verlegt, seit ökologische Kampagnen ihr das Geschäft in Deutschland vermasseln: Zwar ist die FCKW-Produktion insgesamt zurückgegangen, aber die Exportquote schnellte von 1986 bis 1990 von 47 auf 66 Prozent hoch. Qualität aus Deutschland — nicht nur den Deutschen.
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