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Die Demokratisierung am Kap als Heilsbringer für Afrika?

■ Die afrikanischen Erwartungen an ein freies Südafrika sind groß. Viele davon wird Nelson Mandela enttäuschen müssen

Der Zeitraum zwischen Mitte September und Mitte Oktober 1992 war, rein zufällig, für Afrika wegweisend. In drei Ländern – Kamerun, Angola und Südafrika – fanden Ereignisse statt, deren Wirkungen bis heute das Bild des Kontinents prägen.

In Kamerun fanden die ersten Präsidentschaftswahlen mit mehreren Kandidaten statt; der herrschende Diktator Paul Biya mußte zu offensichtlichen, von internationalen Beobachtern scharf kritisierten Manipulationen greifen, um im offiziellen Endergebnis wenigstens eine knappe relative Mehrheit über den Oppositionsführer John Fru Ndi zu erreichen. Der Wahlbetrug war, so die Überzeugung der meisten Kameruner, von der Ex-Kolonialmacht Frankreich gedeckt und erwünscht. In seiner Offenkundigkeit war er richtungweisend: Kein afrikanischer Diktator hat sich seither freiwillig abwählen lassen und seinen Nachfolger gewähren lassen. Die Woge der Demokratisierung, die zuvor weite Teile Afrikas ergriffen hatte, war zumindest symbolisch zu Grabe getragen.

Auch in Angola wurde zum ersten Mal gewählt; der UN-überwachte Urnengang sollte den blutigen Bürgerkrieg zwischen Regierung und der von Jonas Savimbi geführten Unita-Guerilla beenden. Er bewirkte das Gegenteil: Savimbi erkannte seine Niederlage nicht an, der Krieg flammte stärker auf als je zuvor. Das Land ist heute faktisch geteilt, der andauernde Krieg ist der möglicherweise blutigste der Welt und wirkt als Instabilitätsfaktor in die ganze südliche Hälfte Afrikas hinein, von Südafrika bis Zaire.

In Südafrika war diese Periode weniger spektakulär, dafür aber nicht weniger wichtig. Ende September 1992 schlug nämlich Staatspräsident Frederik de Klerk zum ersten Mal den bis heute gültigen Demokratisierungsplan vor: 1994 solle es allgemeine Wahlen geben, danach solle eine Interimsregierung aus allen Parteien für eine Übergangszeit von fünf Jahren amtieren. Der Vorschlag war ein mit dem ANC in Geheimgesprächen ausgehandelter Deal unter maßgeblicher Mitwirkung des Kommunistenführers Joe Slovo. Innerhalb weniger Wochen war auch die Gegnerfront versammelt: Die Parteien der weißen Rechten, die Homeland-Diktatoren von Bhophuthatswana und Ciskei sowie die Inkatha unter KwaZulu- Führer Buthelezi lehnten den Plan ab und begannen mit Sondierungsgesprächen für eine Allianz der Reformgegner. Die politische Konstellation, die Südafrikas Geschicke seither bestimmt, stand fest. Es war die Geburtsstunde des heutigen Südafrika.

Die Gleichzeitigkeit all dieser Ereignisse – und ihre Gegensätzlichkeit – ist zufällig und dennoch bedeutsam. Südafrika war immer Teil Afrikas, bewegte sich aber oft in Gegenrichtung zum Rest des Kontinents. Als in den meisten europäischen Kolonien in Afrika Zwangsarbeit und völlige Entrechtung herrschten, hatten zumindest Teile der schwarzen Bevölkerung in den britischen Territorien des südlichen Afrika mehr Rechte als jemals seither, bis heute. Der Aufbau der strikten Rassentrennung in Südafrika, beginnend mit den Landgesetzen von 1913, fiel in eine Zeit, in der Kolonisatoren anderswo in Afrika begannen, sich einheimische Partner heranzuziehen und ihre Machtbasis zu erweitern. Während schließlich 1948 in Südafrika die rassistische Nationalpartei die Macht ergriff und die Apartheid als geradezu totalitäres System schuf, bis hin zur Einrichtung der schwarzen Homelands und den Planungen für Massendeportationen in den 70er Jahren, erlebte der Rest Afrikas die Entkolonialisierung.

Es ist somit nicht verwunderlich, wenn heute erneut ein Gegensatz gesehen wird: Südafrikas Demokratisierung auf der einen Seite, der angebliche Untergang des Restkontinents in Chaos und Bürgerkrieg auf der anderen. Einher damit geht die Hoffnung, das „neue Südafrika“ könnte eine führende Rolle im Wiederaufbau Afrikas spielen – eine Hoffnung, die viele afrikanische Regierungen wie auch nicht zuletzt de Klerk und die weiße Wirtschaftselite am Kap hegen. Schon vor Jahren träumte der weiße Präsident von einer gemeinsamen Führerschaft Südafrikas, Ägyptens, Kenias und Nigerias in Afrika. Und der Einfluß der großen südafrikanischen Konzerne in verschiedensten Wirtschaftsbereichen, von der Stromversorgung bis hin zum Bierhandel, reicht bis nach Tansania und Zaire hinein, somit über die Hälfte des Kontinents. Es paßt in diesen Zusammenhang, daß ein großer Teil der politischen und ökonomischen Führer des krisengeschüttelten Zaire inzwischen im südafrikanischen Exil leben.

Doch dürfte es noch auf lange Sicht die Kraft der südafrikanischen Wirtschaft übersteigen, auch nur die Bedürfnisse der eigenen schwarzen Bevölkerung zu erfüllen – geschweige denn nennenswerte Transferleistungen für andere Länder aufzubringen. Der Staat am Kap wäre maßlos überschätzt, würde man ihn als eine Art afrikanisches Deutschland sehen und den Rest Afrikas als Gegenstück Osteuropas. Südafrika bedarf selbst des Wiederaufbaus, es muß erst einmal sich selbst entdecken und dabei vermutlich viele unangenehme Überraschungen bewältigen.

Zudem bergen die anfangs genannten Momente der verratenen Demokratisierung und der endemischen Bürgerkriege, die sehr viele afrikanische Länder heute prägen, auch für Südafrika Gefahren. Daß die Demokratisierung in immer komplizierteren Übergangsinstitutionen verdünnt wird, daß politische Konflikte als Kämpfe um ethnische Sonderrechte ausgetragen werden – das prägt nicht nur die Entwicklung am Kap. Nicht nur Südafrika, auch so unterschiedliche Länder wie Nigeria, Äthiopien, Zaire und Sudan befinden sich in einer existentiellen Debatte um die Rechte von Völkern und Regionen. Die in letzter Minute vereinbarte Wahlteilnahme Inkathas in Südafrika vermittelte ein Kenianer, der von einer „afrikanischen Lösung“ sprach. Das ist mehr als eine griffige Formel. Südafrika trägt seine Konflikte zunehmend „afrikanisch“ aus. Es gibt am Kap keine besseren Antworten als anderswo.

Nelson Mandela wird schon jetzt hier und da in Afrika als Sendungsfigur mit unbegrenzten Versöhnungsfähigkeiten vergöttert, die durch persönlichen Einsatz die Leiden des Kontinents mildern und Demokratie und Frieden verbreiten könnte. Er wird einige Erwartungen zu enttäuschen haben. Dominic Johnson

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