„Die Demokratie wiederherstellen“

■ Neu gegründete Bürgerinitiative will Wilhelm-Pieck-Straße zurückhaben

Aktuelle Ereignisse können auch im Jahr fünf nach der Wende so manchen Einheitsunmut wieder hochkochen lassen. Um gegen die in Mitte vor zwei Wochen erfolgte Rückbenennung der Wilhelm- Pieck-Straße in Torstraße zu protestieren, hatten sich am Donnerstag abend rund vierzig Anwohner zwecks Gründung einer Bürgerinitiative getroffen. In einer teilweise sehr hitzig geführten Diskussion, die sich hauptsächlich um die Frage drehte, ob Wilhelm Pieck nun ein böser oder ein guter Mensch war („Natürlich hat er auch Fehler gemacht, er war eben ein Mensch wie du und ich.“ – „Das verbitte ich mir!“), wurde deutlich, daß die Gründe für den Protest längst nicht mehr nur pragmatischer Natur sind.

Während Organisator Frank Hübner als ansässiger Geschäftsmann im Vorfeld vor allem über die ihm entstehenden Kosten geklagt hatte, fühlte sich Anwohnerin Christina Otten ihrer Vergangenheit beraubt: „Ich bin ein typisches DDR-Kind, und Wilhelm Pieck gehört zu meiner Geschichte einfach dazu.“ Es sei eine „große Schweinerei“, eine historische Person aus politischen Gründen einfach auslöschen zu wollen. Dagegen hatten nur wenige etwas, unter ihnen die 58jährige Sozialdemokratin Ingrid Moebus, die seit ihrer Kindheit in der Wilhelm-Pieck-/ Torstraße wohnt. „Die DDR-Vergangenheit ist keinesfalls meine Vergangenheit“, daher wäre es für sie „ein Greuel“, weiter in einer Wilhelm-Pieck-Straße wohnen zu müssen.

Ob politisch oder geschäftlich betroffen, einig waren sich die meisten Teilnehmer vor allem in dem Gefühl, von ihrer Bezirksverordnetenversammlung übergangen worden zu sein. „Denen ist doch unsere Meinung völlig egal“. Die Vorsitzende der PDS Mitte, Sylvia Jastrembski, bezeichnete die Verwaltungsvorschrift, nach der den Anwohnern vor Straßenumbenennungen die Gelegenheit eingeräumt werden muß, sich zu der beabsichtigten Maßnahme zu äußern, als „ungenügend. Das muß zwingend festgelegt werden.“ Einige Anwohner klagten, von der letzten Umfrage im April erst aus der Zeitung erfahren zu haben. „Ich bin überhaupt nicht befragt worden“, sagte einer von ihnen.

Um die „Fraktionen der BVV wachzurütteln und die Demokratie wiederherzustellen“ (Optiker Hübner), will die Bürgerinitiative jetzt in einer Petition ihre Bezirksvertreter auffordern, den Beschluß auszusetzen. Außerdem plant die Stadtsoziologin Karin Baumert, zusammen mit Freiwilligen im September eine erneute Befragung der Anwohner durchzuführen. „Ich möchte die Bewohner für ihre Interessen politisieren.“ Sie hoffe, von Bezirksbürgermeister Gerhard Keil (SPD) finanzielle Unterstützung zu bekommen.

Daß diese Aktionen noch etwas an der Umbenennung ändern könnten, hielt der ebenfalls anwesende Bildungsstadtrat Dankwart Brinksmeier (SPD), Mitglied des Bezirksamtes und damit Beschlußträger, allerdings für „relativ unwahrscheinlich“. Ihm seien bisher keine Initiativen innerhalb der Bezirksverordnetenversammlung bekannt, die darauf hindeuten würden, daß deren Mehrheit ihre Meinung geändert habe. Frühestens Anfang September könne der Fall erneut diskutiert werden. Rückblickend sieht Brinksmeier vor allem ein Kommunikationsproblem zwischen den Bewohnern Mittes und ihrer BVV. „Der Lerneffekt ist der, daß wir die Leute im Dezember zwecks Diskussion hätten einladen müssen. Und sie hätten von sich aus die öffentlichen BVV- Sitzungen besuchen sollen.“ Anne-Kathrin Schulz