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■ Die D-Mark und Europa haben lange das deutsche Selbst- bewußtsein bestimmt. Was passiert, wenn der Euro kommt?Europa als Wille und Vorstellung

I. Kohl gegen Stoiber

Der jüngste Drei-Komma-null- Streit zwischen München und Bonn läßt sich nicht mit Verweis auf die bayerische Landtagswahl 98 erklären. Hinter dem Streit um die Stabilität des Euro verbergen sich unterschiedliche Zielvorstellungen über das Projekt Europa und auch unterschiedliche Einschätzungen, welche Wege und Methoden zu diesem Ziel führen.

Kohl geht es um die machtpolitische Einhegung der Nationalstaaten in einer europäischen Union, um den erfolgreichen Versuch, durch Selbsteinbindung des vereinigten Deutschland der Angst der Nachbarn ein für allemal den Boden zu entziehen. Stoiber sieht die Grenzen des europäischen Wachstums erreicht, nicht unbedingt was den territorialen Umfang der EU, auch nicht was deren (außen-)politische Handlungsfähigkeit, wohl aber, was die europäische Regelungsdichte in allen möglichen Einzelfragen betrifft. Kohl repräsentiert die historische Erfahrung der Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Stoiber artikuliert das Unbehagen der Menschen an politischen und bürokratischen Großkonstruktionen.

Auch andere Ministerpräsidenten fürchten, daß der unkontrollierte Ausbau Europas zu einem Verlust an substantieller Staatlichkeit führe, der vor allem zu Lasten der Länder und Regionen gehe. Deshalb plädieren sie, beispielsweise, für eine stärkere Re-Regionalisierung der Subventionskompetenzen – wobei die einen mehr an Volkswagen und (Nieder-) Sachsen, der andere mehr an Bayern und die Bauern denkt. Stoiber, aber auch Schröder und Biedenkopf bezweifeln, daß der künftige Prozeß der europäischen Einigung weiter nach dem erfolgreichen Muster der Vergangenheit ablaufen kann, die sich in einem Satz zusammenfassen lassen: Am Anfang war die Wirtschaft, und das Politische kommt dann von selbst. Die Fragen lauten somit: Ist dieses Vertrauen in den ökonomischen Determinismus, welches das politische Europa als automatische Folge, als Spill-over-Effekt von Kohle und Stahl, europäischer Wirtschaftsgemeinschaft, Binnenmarkt, Währungsunion, Euro etc. ansieht, auch künftig gerechtfertigt? Oder bedarf Europa nach 1989 einer politischen Neubegründung und einer entsprechenden politischen Debatte?

Die Diskrepanz zwischen einer omnipotenten europäischen Bürokratie, die sich auch noch um Feuerwehranzüge und den Neigungswinkel von Gurken kümmert, und einer impotenten europäischen Politik, die immer dann, wenn es ernst wird (Bosnien), nichts anderes kann als warten auf Amerika, ist ja offensichtlich. Wer die Positionspapiere der bayerischen Staatsregierung vom Dezember 1993 und vom September 1996 liest, wird rasch feststellen, wo heute die Linien einer Debatte verlaufen, die eigentlich gar nicht stattfindet. Dem jugendbewegt-unerschütterlichen Optimismus eines Helmut Kohl, der die Geister der Vergangenheit, die bösen wie die guten, beschwört, stehen jene gegenüber, die daran festhalten, daß Politik mehr und anderes ist als der Vollzug eines Schicksals oder eines Fahrplans. Politik, heißt es aus München, muß, zumal in diesen unsicheren Zeiten, noch etwas mit Analyse (einer veränderten Lage) und Entscheidung (im Lichte oft suboptionaler Alternativen), mit Wille und Vorstellung zu tun haben.

II. Mark, Euro, Europa

Darin bündeln sich Hoffnungen und Traumata eines deutschen Jahrhunderts. Die erste Hälfte hat kollektive Ängste in die politische Seele der Deutschen eingebrannt, die sie in der zweiten Hälfte nur langsam vertreiben konnten. Da war und ist die Angst um die Stabilität des Geldes, entstanden in zwei Inflationen und verdrängt durch die Erfolgsgeschichte der Deutschen Mark. Und da ist die Angst angesichts eines deutschen Sonderweges, der in die Katastrophe und nach Auschwitz geführt hat, ein Taedium Germaniae (Ekel an Deutschland), den die Deutschen durch die rasche Integration in die westlichen Bündnisse überwunden haben. Beide Entwicklungen, die stabile Mark und die europäische Integration, liefen bisher stets parallel, haben sich wechselseitig gestützt und stabilisiert.

Das ist, äußerlich betrachtet, zum ersten Male nicht mehr der Fall: Die Mark und Europa, diese beiden Stabilisatoren der deutschen Politik für ein halbes Jahrhundert, laufen jetzt scheinbar auseinander. Die Deutschen sollen die Mark verlieren, um Europa zu gewinnen. Dafür mag es gute Gründe geben. Aber es ist naiv anzunehmen, das ginge wieder nach jener Methode, die schon bei der deutschen Einigung versagte: erst die Währungsunion und dann, gestern in Ostdeutschland, blühende Landschaften und, morgen in Europa, weniger Arbeitslose. Erst die leichten Versprechen und dann die Schmerzen der Veränderung. Augen zu und durch – oder rechtzeitig die offene Frage: Welches Europa für welche Aufgaben und mit welchen Institutionen?

III. Die Rückkehr der Politik

Das 19. Jahrhundert ging mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Das 20. Jahrhundert wird mit der Einführung des Euro zu Ende gehen. Wenn das kein Fortschritt ist. Damals wie heute: Die alten Ordnungen zerbröseln. Rund um den Euro werden Umbrüche sichtbar, die anderswo ihre Ursachen haben: vor allem in der Digitalisierung und der Globalisierung. Mit dem Euro werden diese Phänomene, so ist zu hoffen, auf Dauer leichter beherrschbar. Manche, weit links und weit rechts, wollen den Euro und mit ihm auch die Zumutungen des Wandels stoppen. Andere, in der linken und in der rechten Mitte, setzen auf den Euro und mit ihm auf eine Art europäischen National- und Sozialstaat, der drinnen möglichst alles beim alten läßt und draußen die Welt (über die UNO) soziale Mores lehrt. Weder das eine noch das andere wird gehen.

In Europa entsteht etwas Neues, das es so bisher nicht gab: weder ein Bundesstaat noch ein Staatenbund noch eine bloß räumliche Ausdehnung traditioneller Staatlichkeit. Was, wenn nicht diese aufregende historische Lage, wäre eigentlich besser geeignet für einen, frei nach Kant, republikanischen Akt der Konstitution, der politischen „Stiftung“ Europas? Könnte es sein, daß selbst mit der verharzten Diskussion um den Euro sich der Anspruch der Politik zurückmeldet? Manches deutet darauf hin, daß Europäisierung und Globalisierung, hinter dem Rücken ihrer Erfinder und auch ihrer Kritiker, eine Renaissance der Politik in einem etwas anspruchsvolleren Sinne bringen. Man sollte jedem dankbar sein, der darüber eine Debatte vom Zaune bricht. Warnfried Dettling

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