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Archiv-Artikel

american pie Die Causa Schinkensandwich

Baseballprofi Barry Bonds wird der Prozess gemacht. Es geht um Anabolika-Doping. Oder doch nur um Steuerhinterziehung?

Am Montag beging Barry Bonds seinen 42. Geburtstag. Seine San Francisco Giants hatten an diesem Tag spielfrei, der Baseballprofi also ausreichend Zeit, das Ereignis gebührend zu feiern. Hoffentlich hat er die Möglichkeit genutzt, denn seinen nächsten Geburtstag könnte der beste Hitter der letzten Jahre im Gefängnis verbringen. Die Justiz hat einen neuen Versuch gestartet, Amerikas prominentesten Betrüger zu überführen.

Am Donnerstag tritt erstmals eine Grand Jury zusammen, die neue Beweise gegen Bonds sammeln soll und von der allgemein erwartet wird, dass sie endlich Anklage gegen ihn erheben wird. Noch ist unklar, für was sich Bonds wird verantworten müssen: Ob tatsächlich wegen des in den USA seit 16 Jahren illegalen Anabolika-Missbrauchs oder – aus Mangel an gerichtsverwertbarem Material – wegen Steuerhinterziehung oder Meineids. Denn dass Bonds auch dank Anabolika, Wachstumshormonen und anderer Dopingmittel in der Lage war, in einem für einen Leistungssportler recht fortgeschrittenen Alter die Rekordbücher des Baseball umzuschreiben, das ist weitgehend unstrittig. Doch bei einer Anhörung 2003 behauptete Bonds, er habe die ihm vom berüchtigten Balco-Labor zur Verfügung gestellten Mittelchen für Arthritissalbe und Leinsamenöl gehalten. Gegen „Game of Shadows“, das im März erschienene Buch von Mark Fainaru-Wada und Lance Williams, in dem die beiden Reporter des San Francisco Chronicle akribisch Bonds’ Drogenpraxis der vergangenen Jahre dokumentierten, ist Bonds niemals mit rechtlichen Mitteln vorgegangen. Doch nun schickt er seine Anwälte in die Offensive: Michael Rains will eine offizielle Beschwere einreichen, weil immer wieder Details aus Aussagen und medizinischen Akten an die Öffentlichkeit gelangen, wirft Rains dem zuständigen Bezirksgericht vor, diese eigentlich vertraulichen Informationen absichtlich zu streuen. Rechtsanwalt Rains schließt daraus und aus dem Aktenstudium, dass der Justiz zu wenige Beweise gegen seinen Mandanten vorliegen: „Die haben nicht mal genug, um ein Schinkensandwich anzuklagen, geschweige denn Barry Bonds.“

Die zentrale Figur der kommenden Ermittlung der neuen Grand Jury wird Greg Anderson sein. Bonds’ ehemaliger persönlicher Trainer, der vor allem dafür zuständig war, ihn regelmäßig mit Stoff zu versorgen, wurde erst am vergangenen Donnerstag aus dem Gefängnis im kalifornischen Dublin entlassen. Dort hatte er 15 Tage zugebracht, weil er sich weigerte, gegen Bonds auszusagen. Bereits im vergangenen Jahr hatte Anderson drei Monate abgesessen wegen Geldwäsche und Handel mit Anabolika. Kaum aus dem Knast, hatte er eine neue Vorladung auf dem Tisch: Er soll endlich aussagen, ob Bonds wusste, was er ihm verabreichte. Doch Mark Geragos, der wie die anderen Top-Anwälte, die Anderson verteidigen, offiziell nicht von Bonds bezahlt, sondern angeblich unentgeltlich arbeiten, kündigte bereits an: „Sie können ihn bis zum Ende des Jahres täglich vorladen, aber er wird nicht reden.“ Es ist aber möglich, dass die neue Grand Jury eine neuerliche Beugehaft für Anderson verfügt, die dann bis zu 18 Monate dauern könnte. Das ist eine ziemlich lange Zeit, wenn man sie schweigend verbringen soll.

Die Öffentlichkeit ist derweil gespalten: Umfragen ergeben immer wieder, dass eine Dreiviertelmehrheit fest davon überzeugt ist, dass Bonds gelogen und wissentlich gedopt hat. Ein fast ebenso großer Anteil der Befragten ist aber auch der Meinung, Bonds solle weiter erlaubt sein, Baseball zu spielen. Seine Reputation, so die meisten Kommentatoren, ist ohnehin unwiederbringlich beschädigt. Der vom Ehrgeiz zerfressene Bonds wird nicht, wie von ihm beabsichtigt, als bester Baseballspieler aller Zeiten in die Geschichte des Baseball eingehen, sondern als ihr größter Betrüger. Ein Interesse, ihn endlich zu überführen, haben vornehmlich noch ehrgeizige Staatsanwälte, die sich mit dem Fall schmücken wollen und nun festgestellt haben, dass Bonds wohl des Öfteren vergessen hat, Honorare für Autogrammstunden beim Finanzamt anzumelden. So könnte es also sein, dass Bonds zwar nicht wegen seiner eigentlichen Taten zur Rechenschaft gezogen wird, sondern wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter wandert – und es damit einem Al Capone gleichtut. Solche Helden werden wohl nur in Amerika geboren.

THOMAS WINKLER