piwik no script img

Die Bundesbank in der IdentitätskriseAlberich und der nette junge Mann

Früher mächtigstes Finanzinstitut, leidet die Bundesbank seit der Euro-Einführung an einer Krise. Am Montag bekommt sie mit Jens Weidmann einen neuen Chef.

Alter Sack Bundesbank: fürs Schreddern und Entsorgen von Geldscheinen ist sie noch gut genug. Bild: dpa

So grau wie Frank Herzogs Haare ist das Häuflein Asche vor ihm. Angeblich waren diese dürren Fetzchen und verbrannten Schnipsel mal Geldscheine, 1.500 Euro insgesamt. "Jetzt bitte nicht niesen und auch nicht schnell bewegen", sagt Herzog, "sonst fliegt alles weg." Seine großen braunen Augen blicken ins Mikroskop auf der Suche nach vertrauten Details. Und tatsächlich, da, sieht man da nicht einen Teil des Tempels auf dem 50-Euro-Schein?

So geht das manchmal den ganzen Tag. Dann hat Herzog die wahre Identität der bei Wohnungsbränden verkohlten, von Hunden zerfressenen oder von jahrelanger Feuchtigkeit in vergessenen Verstecken zersetzten Geldscheine ermittelt. Er arbeitet bei der Bundesbank in Mainz, einer Außenstelle, die "Nationales Analysezentrum" heißt.

Herzog ist einer der zwölf Bundesbanker, die Deutschlands kaputtes Geld untersuchen. 20.000 Hilfsanfragen haben ihn 2010 erreicht. Entpuppen sich die Rudimente unter Herzogs Mikroskop tatsächlich als Geldscheine, erhalten die Besitzer den Wert in frischen Noten von der Bundesbank ausgezahlt.

Jens Weidmann

Der neue Präsident der Bundesbank beginnt seine Arbeit in Frankfurt am kommenden Montag. Weidmann ist 68er – geboren in Solingen am 20. April des Jahres der Studentenproteste, ist er der jüngste Chef, den die Bank bislang hatte. Bis vor wenigen Wochen war Weidmann Sherpa ("Träger") von Kanzlerin Merkel im Bundeskanzleramt. Er bereitete für sie die Finanzkrisen-Gipfel der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen vor. Weidmann hatte damit eine zentrale Macht- und Handlungsposition inne, bei deren Ausfüllung er sich wenig Kritik zuzog. Neu im Bundesbankpräsidium ist demnächst auch Sabine Lautenschläger, die Weidmann vertreten wird.

Doch, doch, die Bundesbank hat was zu tun. Das wird auch für Jens Weidmann gelten, ihren neuen Präsidenten, der am 2. Mai offiziell sein Büro in der Frankfurter Zentrale bezieht. Und trotzdem ist die Bank auch ein mythologisches Wesen, ähnlich dem Zwergenkönig der Nibelungen Alberich, der auf den Schatz im Berg aufpasst.

Früher schützte die Bank die harte D-Mark. Die inflations- und kriegsversehrten Deutschen sahen sie als Bewahrerin ihres neuen Wohlstands. Im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte wurden die D-Mark so hart und Bundesbank so stark, dass diese ihren Nachbarn die Bedingungen von Sparsamkeit und hohen Zinsen diktierten. David Marsh, der ehemalige Herausgeber der Financial Times, schrieb kürzlich: "Die Bundesbank herrschte einst über ein größeres Territorium in Europa als jedes Deutsche Reich der Geschichte."

Aber schon vor 12 Jahren übergab die Bundesbank ihre geld- und währungspolitische Macht an die Europäische Zentralbank (EZB). Vor neun Jahren wurde die D-Mark endgültig ausrangiert. Von dieser Bedeutungskrise hat sich die Bank bis heute nicht erholt.

Nun wird Jens Weidmann, der nette junge Mann, der bis vor kurzem für Angela Merkel im Bundeskanzleramt die Finanzkrise verwaltete, neuer Präsident dieser Institution. Im Februar musste plötzlich alles ganz schnell gehen. Weidmanns Vorgänger Axel Weber schmiss das Amt hin, unter anderem weil er befürchtete, sich in der Europäischen Zentralbank mit seinem harten Kurs gegenüber dem verschuldeten Griechenland nicht durchsetzen zu können.

Die Geldmüllmänner

Die EZB rettet den Euro, schleppt Griechenland durch die Krise, ihr Präsident Jean-Claude Trichet schützt unser neues Geld. Welche Rolle spielt die Bundesbank da überhaupt noch – außer der Rekonstruktion verbrannter Geldscheine?

Sie betreibt auch Müllbeseitigung. Der hochgewachsene Helmut Rittgen in seinem dunkelblauen Anzug legt ein ordentliches Päckchen auf den Tisch, durch dessen durchsichtige Plastikfolie ein Gewirr bunter Papierstreifen leuchtet. Dieses Gebinde fühlt sich an wie ein vakuumverpacktes Pfund Kaffee, nur schwerer. Es enthält geschreddertes Geld im Wert von einstmals 50.000 Euro.

Rittgen weiß sehr viel über unser Bargeld. Er ist ein Kenner, er leitet die entsprechende Abteilung der Bundesbank. Und es macht ihm Spaß, sein Gegenüber mit Insiderwissen zu beeindrucken. Nein, diese Antwort auf seine Frage sei nicht ganz richtig, verbessert er: "Die Lebensdauer der durchschnittlichen Fünf-Euro-Note beträgt nur gut ein Jahr." Weil sie so oft den Besitzer wechsele, sei sie schnell zerfleddert und würde von der Bundesbank eingezogen und verbrannt. "500-Euro-Noten dagegen halten viele Jahre."

Der Abteilungsleiter kennt unsere Gewohnheiten und unser Geld deshalb so gut, weil die Bundesbank die Deutschen immer noch mit selbigem versorgt – nicht etwa die EZB. Tatsächlich gibt die Bundesbank den Druck von Geldscheinen in Auftrag, schickt das Bargeld mit Lkws zu den Geldautomaten und zieht es auch wieder ein. Diesen Umlauf des Geldes steuert Helmut Rittgen aus der Zentrale im Frankfurter Stadtteil Dornbusch.

Der Geister der 1960er

Dort am Autobahnzubringer steht die Wirtschaftswunder-Variante deutscher Machtarchitektur. Strebt man von der Pforte mit Uniformen, Schranke und Ausweiskontrolle die schnurgerade Zufahrtstraße entlang in Richtung Haupteingang, kommt ein Versailles-Gefühl auf. Ziemlich weit da hinten thront quer das Hochhaus der Bank, 217 Meter breit, 17 Stockwerke Beton. In Baustil und künstlerischer Ausstattung atmet es die 1960er und 1970er Jahre. Manche Leute, die man drinnen trifft, sehen aus wie Operettensängerin Anneliese Rothenberger oder Eduard Zimmermann von "Aktenzeichen XY".

Ganz oben in der Vorstandsetage sind die Teppichböden weich und beige, nicht hart und blau wie in den unteren Stockwerken. Am Panorama-Fenster mit Blick auf die Skyline von Frankfurt weist Sprecher Benedikt Fehr fast ein bisschen trotzig auf ein neues Gebäude unten links neben den japanischen Kirschbäumen im Garten und sagt: "Hier wird aufgebaut, nicht abgebaut." Dort residiert nun die neue Abteilung für Finanzstabilität, die man nach der großen Krise dringend braucht, um das labile Finanzystem unter Kontrolle zu halten.

Solche Ausbauten ändern aber nichts daran, dass die Bundesbank schrumpft. 1991 hatte sie 16.500 Beschäftigte, nächstes Jahr sollen es noch 9.000 sein. Filialen in den Bundesländern werden geschlossen, demnächst die in Cottbus, und frühere Tätigkeiten wie das Aussortieren abgegriffener Scheine privatisiert. Das, was die Bundesbank zu tun hat, lässt sich mit viel weniger Leuten erledigen – was nicht bedeutet, dass es unwichtiger Kleinkram wäre.

Denn auch den Staat versorgt sie nach wie vor mit Geld. Wie das geht, demonstriert André Bartholomae, der Leiter des Zentralbereichs Märkte, ein Herr mit Einstecktuch, Krawattennadel und tropfenförmiger Goldrandbrille. Es ist Mittwoch, 10.56 Uhr, die Auktion läuft noch vier Minuten. Heute bietet die Bank Bundesschatzanweisungen mit 1,5 Prozent Zinsen an. Geschäftsinstitute wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank können sie kaufen und an ihre Kunden weiterveräußern. Zu welchem Kurs werden die Institute dem Staat seine Schuldscheine diesmal abnehmen?

Im Handelsraum der Bundesbank stehen die Arbeitstische in einem großen Halbkreis, darauf Dutzende Bildschirme, dicke schwarze Telefonanlagen, die Händler mit Headsets nehmen die Angebote der Banken entgegen. Drei, zwei, eins, und Schluss, 11.00 Uhr. 7 Milliarden Euro haben die Besitzer gewechselt. Die Privatbanken bekommen die Schatzanweisungen des Bundes, die Bundesbank das Geld, das sie dann an die Regierung überweist.

Das nennt man Staatsverschuldung. Mittlerweile ist sie auf gut 2.000 Milliarden Euro angestiegen. Einen großen Teil davon wickelt die Bundesbank ab. Ohne eine solche Institution würde schon lange kein staatlicher Lehrer mehr bezahlt und kein Schlagloch in den Straßen geflickt.

André Bartholomae ist stolz, dass alles so gut klappt. "Zwei bis drei Minuten nach Abschluss der Auktion erfolgt die Zuteilung." Dann wissen die Geschäftsbanken, wie viele Schuldpapiere des Staates sie zu dem Kurs erhalten, den sie geboten haben. "Wir sind sehr schnell", sagt Bartholomae. Zu Selbstzweifeln besteht für ihn kein Anlass.

Andreas Worms dagegen begibt sich in Verteidigungshaltung. Er leitet die Abteilung für Geldpolitik. An seinem Schreibtisch hat früher der künftige Präsident Jens Weidmann gesessen, bevor er ins Bundeskanzleramt wechselte. Worms ist ein lockerer Typ, Sportlerfigur, auf das Jackett verzichtet er, die Ärmel des Hemdes sind hochgekrempelt. Vielleicht liegt es an den Fragen, dass er etwas richtigstellen muss.

Worms sagt: "Die Bundesbank hat ein starkes Gewicht im Rat der Europäischen Zentralbank. Wir sind ein wichtiger Teil des Eurosystems." Das stimmt. Die EZB hat die Bundesbank und die anderen ehemaligen Notenbanken der heutigen Eurostaaten nicht ersetzt, sondern überwölbt sie.

Und doch ist es ganz anders als früher. Worms und seine Kollegen definieren ihre harte Geldpolitik heute nicht mehr alleine, sondern müssen versuchen, sie in der EZB durchzusetzen. Früher bestimmten sie Leitzinsen und Inflationsbekämpfung in Deutschland – zu 100 Prozent. Andere Länder waren gezwungen, sich anzuschließen. Jetzt haben Worms und seine Volkswirte 30 Prozent Einfluss auf die Entscheidungen im ganzen Euroraum. Welche Rolle ist wichtiger?

Die Bedeutung der Bundesbank in Europa sicher nicht gestärkt hat Axel Webers hastiger Abschied. Nun wird vermutlich nicht er, sondern Mario Draghi, der Chef der der italienischen Notenbank, neuer Präsident der EZB. Aber ist das ein Schaden? Nein, Draghi wird den Euro ebenso beschützen, wie Bundesbankchef Weber es getan hätte. Denn auch der Italiener lehnt es ab, verschuldete Staaten wie Griechenland über Gebühr zu unterstützen und damit den Wert der gesamten Währung aufs Spiel zu setzen.

In jedem EZB-Präsidenten steckt ein guter Teil Bundesbank. Einfach, weil Deutschland die stärkste Macht im Euroraum ist und bleibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!