■ Die Bündnisgrünen distanzieren sich von der PDS: Kohl im Glück
Im psychoanalytischen Jargon gibt es den Begriff double bind. Das heißt: eine Situation, in der, gleich wofür man sich entscheidet, alles ins Debakel führt. In solcher Lage befindet sich derzeit die Opposition. Was sie zur PDS auch sagt, stets schadet es ihr. Daran ändert auch die grüne „Wörlitzer Erklärung“ nichts. Der Tonfall ist betont lapidar und entschlossen: keine Koalition mit, keine Tolerierung durch die PDS auf Bundesebene. Punkt. Ende der Durchsage?
Wohl kaum. Dieses Papier ist Teil des Problems, dessen Lösung es sein will. Es ist offenkundig eine Antwort auf Hintzes Ankündigung, den Wahlkampf 1998 gegen die PDS zu führen. Ohne Rote-Socken- Kampagne keine „Wörlitzer Erklärung“. Hintze hat das Stöckchen hingehalten, die Bündnisgrünen sind gesprungen. Kein Zweifel, daß dem CDU-Generalsekretär dieses Spielchen so gut gefällt, daß er es so oft wie möglich wiederholen wird. Und dies wird, leider, funktionieren. Denn den Verdacht, daß Rot-Grün sich 1998 im Falle eines Falles nicht doch von der PDS tolerieren lassen könnte, wird keine Distanzierung ausräumen. Kurzum: Die Meinungsführerschaft liegt derzeit bei der Koalition, trotz vier Millionen Arbeitsloser und allseits verhaßtem Sparkurs.
So glückt es Kohl, die Opposition mit einer Gespensterdebatte und einem trüben Wahlkampfmanöver vor sich her zu treiben. Denn natürlich, das weiß auch Hintze, würde eine rot-grüne, PDS-tolerierte Regierung die Westbindung nicht lockern, die Marktwirtschaft nicht abschaffen oder ähnlich schreckliche Dinge tun. Mal ganz davon abgesehen, daß die Nachricht vom Untergang des Weltkommunismus auch in der CDU-Zentrale angekommen sein müßte.
SPD und Grüne versuchen nun den Schwarzen PDS-Peter loszuwerden, indem sie die Doppelmoral der Rote-Socken-Kampagne enttarnen und nimmermüde darauf verweisen, daß die CDU, ohne mit der Wimper zu zucken, die Blockflöten-Parteien übernahm. Das ist gewiß richtig – fragt sich, warum dieses Argument sowenig nutzt.
So verweist diese Gespensterdebatte auf ein substantielles Problem der Opposition. Die SPD schlingert richtungslos zwischen den Optionen Große Koalition und Rot-Grün. Und selbst wenn sich die SPD für die Grünen entscheiden würde, stände ein rot-grünes Programm noch aus. Kohl steht, noch immer, für ein zwar ungemütliches, aber verläßliches „Weiter so“. So lange verwaschen ist, wofür die Opposition steht, werden ihr auch keine Anti-PDS-Erklärungen aus der Bredouille helfen. Stefan Reinecke
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