: Die Bewegung schiebt zurück
Europas Flüchtlingsorganisationen stemmen sich gegen den Rechtsruck: Für die kommende Zeit sind zahlreiche Projekte geplant
Von Christian Jakob
Als er 2015 aus dem Sudan nach Deutschland flüchtete, „haben viele Menschen die Geflüchteten unterstützt, das hat Hoffnung gemacht“, sagt der Sudanese Hassan N. Heute gebe es Verschärfungen und „Sicherheitspakete“ allerorten, „für die Bewegungsfreiheit sieht es schlecht aus“. Doch so muss es nicht bleiben, meint der 43-Jährige Sprecher des „Welcome United“-Bündnisses.
Der Rechtsruck brachte einen beispiellosen Angriff auf die Rechte Geflüchteter und Migrant:innen, die offiziellen Zahlen zum heutigen Weltflüchtlingstag melden ein deprimierendes Ausmaß globaler Vertreibung. Gleichzeitig ist die antirassistische Szene dieser Tage so aktiv wie lange nicht. Die Bewegung scheinen die schlechten Nachrichten eher zu beflügeln.
Am vergangenen Samstag stellte etwa Hassan N. auf dem „Solidarischen Migrationsgipfel“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin die Pläne für eine Geflüchtetenkarawane von Thüringen nach Berlin vor. „Heute gibt es täglich Abschiebungen, viele der davon Gefährdeten leben sehr isoliert in Lagern“, sagt er. Ab dem 20. September soll es deshalb eine Karawane aus ostdeutschen Flüchtlingslagern nach Berlin geben. „Die Menschen sollen die Chance bekommen, ihre Gedanken zu den Verschärfungen vorzubringen“, sagt Hassan.
Aktionen wie die Geflüchtetenkarawane sollen an den „Sommer der Migration“ vor zehn Jahren erinnern. 2015 nannten die Geflüchteten ihren Treck den „Marsch der Hoffnung“, und ein wenig dieser Hoffnung soll nun wiederaufleben.
Am Mittwoch stellte ein Bündnis von NGOs in Berlin ihr „Mare Solidale“ genanntes Konzept für eine europäische Seenotrettungs-Infrastruktur vor. Trotz aller Repression sind heute 21 zivilgesellschaftliche Initiativen und Bündnisse im Mittelmeer aktiv. Die Sea-Watch-Sprecherin Giulia Messmer kündigte an, trotz aller ablehnenden Signale dazu weiter Druck auf die neue Bundesregierung und die EU-Kommission zu machen.
Am Donnerstag präsentierte das Alarm Phone Sahara (APS) seine neue Webseite. Das Projekt will seine Hilfe für Migrant:innen, die auf der Sahara-Route in Not geraten, weiter ausbauen. Am Freitag startet die Gruppe „Refugees in Libya“ in Rom eine Kampagne gegen die Kooperation der Meloni-Regierung Italiens mit Libyen. 175.000 Menschen wurden in den vergangenen Jahren von der libyschen Küstenwache auf dem Mittelmeer aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht. Der für die Folter in den dortigen Lagern mitverantwortliche General Osama Almasri wurde trotz eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag nach einer Festnahme in Turin Ende Januar von Italiens Luftwaffe nach Tripolis zurückgeflogen.
Gegen diese und andere Elemente der Abschottungspolitik sind in den kommenden Monaten antirassistische Kampagnen und Mobilisierungen von Nordafrika bis Berlin geplant, die es in dieser Form noch nicht gab. Die Geflüchtetenkarawane von Thüringen nach Berlin ist ein Teil einer „transnationalen Aktionskette“, die Anfang August mit dem Transborder Camp im französischen Nantes startet. Zum dritten Mal nach 2019 und 2022 kommen dort Hunderte Aktivist:innen aus Afrika und Europa zusammen. Im Anschluss sind Aktionen unter anderem in Berlin, Genf, Lampedusa, Ostdeutschland, Rabat und Rom geplant. Dort soll Anfang November gegen die Verlängerung der Kooperationsvereinbarung von Italien und Libyen demonstriert werden.
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