: Die Banalität der Guten
■ Nachbetrachtungen zu einem Empfang anläßlich des 40jährigen Amtsjubiläums des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Heinz Galinski / Eike Geisel polemisiert gegen die Feierstunde: „Die Juden sind von allen Schattierungen erbarmungsloser deutscher Gutwilligkeit umzingelt“
Wer als Angestellter eines Kaufhauses oder der Sparkasse lange genug durchhält, wird für diese masochistische Standhaftigkeit mit einer Armbanduhr und einem Händedruck vom Chef belobigt. Bei der Ehrung langgedienter Filialleiter gibt es eine richtige Feierstunde mit Häppchen und Kulturprogramm. Der Aufsichtsrat kommt, es werden Lobreden auf die Verdienste des Jubilars gehalten, Präsentkörbe verteilt und auf das Wohl der Firma angestoßen.
Ähnlich aufregend war die vorgestrige Jubiläumsfeier für Heinz Galinski, der sein 40jähriges Amtsjubiläum als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde beging. Der wie für einen bunten Nachmittag der Ortskrankenkasse dekorierte Saal füllte sich mit den zumeist angejahrten Betriebsangehörigen, mit den Experten für christlich-jüdische Versöhnung, den Vertretern deutsch-israelischer Kameradschaftspflege, den Fachleuten für dialogisches Denken, professionellen Philosemiten, mit ökumenischen Organisatoren, mit nichtjüdischen Eltern, deren Sprößlinge die jüdische Schule besuchen, weil es dort angeblich intelligenter zugeht, mit spirituellen Gesinnungstätern, mit Konvertiten, mit Hobbyjudaisten und nicht zuletzt mit Politikern; mit einem Wort: wie bei anderen vergleichbaren Anlässen waren die Juden von allen Schattierungen erbarmungsloser deutscher Gutwilligkeit umzingelt.
Mit Walter Momper an der Spitze war der neue Aufsichtsrat fast vollzählig anwesend. Und nach den Querelen der vergangenen Tage strahlte dieses Gremium angesichts lebender Juden wieder jene Harmonie aus, die sich bei der Besichtigung toter Juden zwischen ihnen eingestellt hatte.
Wie erinnerlich ging den Koalitionsverhandlungen ein gemeinsamer Rundgang durch die Ausstellung Aus Nachbarn wurden Juden voraus. Zwar wurden, wie man weiß, aus Nachbarn zumeist Antisemiten, aber derlei Spitzfindigkeiten trüben weder den Genuß des historischen Vitaminstoßes, mit dem die beiden Parteien ihre Annäherung begossen, noch hinderte sie dieser Umstand daran, die Umkehrung des Ausstellungstitels am lebenden Objekt zu demonstrieren. Aus Juden sind Nachbarn geworden, war deshalb das mehrfach variierte Motto der Jubelfeier. Und für die 40jährige Anpassung an die Herausforderung wurde Galinski mit einer Vertrauensstellung belohnt. Den Worten des Regierenden Bürgermeisters zufolge übernimmt der Gemeindevorsitzende, nachdem er jahrelang im Außendienst für das Ansehen der Firma Bundesrepublik tätig gewesen war, nun eine Tätigkeit im Innendienst, nämlich eine Art moralische Hauswartsstelle: „Er trägt dazu bei, daß wir die Lehren aus der Geschichte ziehen.“ Weniger profan drückte der Berliner Bischof Kruse die Beförderung Galinskis einerseits wie die Unzurechnungsfähigkeit der Deutschen andererseits aus: „Die jüdische Gemeinde ist ein Segen Gottes, um das Gewissen zu schärfen.“
Für diesen Dienst christlicher Nächstenliebe durch einen Juden, der gelegentlich die Täter daran erinnern soll, daß sie welche waren, hätte der Bischof den Gemeindevorsitzenden, wie er sagte, „am liebsten“ mit einem „Bruder Galinski“ belohnt. Die Exsenatorin Laurien, die ihren - im Namen der abgehalfterten CDU, „für die ich die Ehre zu sprechen hatte“ - überbrachten Glückwunsch ausdrücklich „unter ein Motto des Talmud“ stellte, erinnerte dankbar an jene Periode, als die Opfer als verständnisvolle Therapeuten der Täter aufgetreten waren: „Sie haben nicht auf Vergeltung, sondern auf Begegnung gesetzt.“
Doch ab jetzt dürfen die Juden das von den Deutschen an sie delegierte schlechte Gewissen verwalten. Galinski sei ein „unbequemer Mahner“, attestierten ihm alle Redner, als zahlten sie ihm nun mit einem Jagdschein die vielen Persilscheine der Vergangenheit heim. Gelegentlich nicht unbequem genug, befand der Regierende Bürgermeister, der sich selbst, ganz Chef der Firma, diplomatisch zurückhielt. Auch die AL-Gratulantin Bischoff-Pflanz, die Galinski staatstragendes Verhalten, nämlich „konstruktive Kritik“, attestierte, sähe den Gemeindevorsitzenden gern der von ihr reklamierten neuen politischen Kultur gegenüber etwas aufgeschlossener. Was sie darunter verstand, sagte sie zur Frau des Gemeindevorsitzenden: „Kein Mann kann diese Kraft aufbringen ohne Hilfe seiner Frau.“ Verglichen damit war das Angebot von Frau Laurien, die Kontakte zwischen der Berliner CDU-Frauenfraktion und der Jüdischen Gemeinde weiter auszubauen, eine feministische Offerte.
Aus Ost-Berlin, wo Galinski im November 1988 beim Pogrom -Festival den goldgelben „Stern der Völkerfreundschaft“ angeheftet bekommen hatte, war der Staatssekretär für Kirchenfrage zur Gratulationstour angereist. Zwar machte er am Anfang „mit tiefer innerer Bewegung“ darauf aufmerksam, daß der Absender seiner Grußadresse, der „oberste Repräsentant der Deutschen Demokratischen Republik, der Vorsitzende des Staatsrates und Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Erich Honecker“ über einen längeren Titel verfüge als der Empfänger, doch danach war alles Trennende vergessen. Beflügelt vom sprachlichen Wiedervereinigungsangebot des FDP-Vorsitzenden Rasch, der Galinskis langjährige Amtszeit neidisch auf ein physiologisches Wunder, nämlich auf „einen lautstark erhobenen Finger“, zurückgeführt hatte, kannte der DDR -Repräsentant keine Parteien mehr, sondern nur noch Platitüden. Der Massenmord wurde zu jenen „schweren opferreichen Tagen, ... damals, als die Sonne nicht mehr schien“. Und, Rasch in der Metaphernbildung nacheifernd, sah er im Wahlerfolg der Republikaner „die finsteren Triebe das Haupt erheben“, gegen welche die „Ehre des deutschen Namens in der Geschichte“ verteidigt werden müsse.
Wegen der vorhergegangenen Kinderdarbietungen „Heut ist ein schöner Tag, Dein Jubiläumstag“ verlor der Staatssekretär dann offensichtlich die Kontrolle und glaubte sich bei einem Fest der Jungen Pioniere und reimte als Schlußsatz: „Dieser unser Planet blüht und gedeiht, damit Frieden herrscht für alle Zeit.“ Schalom. Otto Schily hätte im Bundestag genau an dieser Stelle die Stimme vor Betroffenheit versagt.
In seinem nach gut einem Dutzend Redebeiträgen gehaltenen Schlußwort nahm Galinski die neue Rolle des Referenten fürs Betriebsklima und den Hausfrieden emphatisch an. Das wichtigste sei der „Konsens der Demokraten“: „Mir geht es immer um Gemeinsamkeiten.“
Jetzt weiß man, was die vielbeschworene deutsch-jüdische Symbiose meint: gemeinsam sind sie unausstehlich. Oder, wie der bekannteste Stadtneurotiker Jerusalems, Gad Granach, über Berlin sagt: Ein Dach über die Mauer und man hat eine geschlossene Anstalt.
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