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Die Auswirkungen der KriseI fahr Daimler

In keiner anderen Region Deutschlands ist die Lebensart so eng mit einem Auto verknüpft wie in Baden-Württemberg. Jetzt ist Krise bei Daimler. Erkundung einer angeschlagenen Volksseele.

"Wenn der Daimler hustet, hat der Schwabe eine Grippe." Bild: ap

DIE AUTOKRISE BEI DAIMLER

4. 10. 2007: Daimler und Chrysler trennen sich.

24. 7. 2008: Daimler korrigiert erstmals seine Gewinnerwartung für 2008 nach unter.

12. 11. 2008: Die IG Metall akzeptiert 2,9 statt geforderter acht Prozent mehr Lohn in der Metall- und Elektroindustrie.

14. 11. 2008: "Es macht keinen Sinn, Autos auf Halde zu bauen": Dieter Zetsche spricht in der Bild erstmals von Kurzarbeit.

6. 6. 2008: Daimler setzt im November 25 Prozent weniger Pkw ab als im Vorjahr.

12. 12. 2008: Die Weihnachtsferien an 14 Standorten beginnen eine Woche früher als normal. Danach gibt es Kurzarbeit. Die beiden größten Standorte in Baden-Württemberg sind: Untertürkheim mit 23.287 und Sindelfingen mit 36.390 Angestellten.

Wahrscheinlich hat Zwetschge sie gar nicht gehört, schließlich stehen sie unter einer Brücke. Weder Christian, den überzeugten Fahrradfahrer, noch Jürgen oder Dirk, der fast den gleichen Bart trägt wie Dieter Zetsche, den sie hier alle Zwetschge nennen. Es ist Anfang November, sie trällern und pfeifen mit der IG Metall für einen ordentlichen Tarifabschluss. Ihr Chefchefchef Zetsche, der oberste Capo beim Daimler, sitzt, wenn er überhaupt hier weilt, ein paar hundert Meter entfernt weit über ihnen. In einem schmucklosen Büroturm mit einem verdammt hellen Stern auf dem Dach, der über dem Motorenwerk und dem Herz des Weltkonzerns Daimler im Stuttgarter Stadtteil Untertürkheim thront.

Die protestierenden Arbeiter denken zu Beginn des Tarifkonflikts, Daimler rechne sich bloß arm und die Krise schlimm, um die Löhne zu drücken. Dass es noch schlimmer kommen wird, haben sie wohl kaum gedacht: Zwar setzte der Konzern mit 1,158 Millionen Mercedes-Benz, AMG, Smart und Maybach weltweit bis Ende November nur ein Prozent weniger ab als 2007. Im November war die Lage dann allerdings katastrophal: 84.500 Fahrzeuge, ein Viertel weniger als November 2007. Seit Freitag letzter Woche machen etwa 150.000 Daimler-Mitarbeiter an 14 Standorten in Deutschland Urlaub. Zwangsweise eine Woche länger als normal ist über Weihnachten. Und Zwetschge hat Kurzarbeit angekündigt. Nur noch drei oder vier Tage die Woche, der Konzern zahlt dafür 90 Prozent des Lohnes - noch. Er kann auch nur den Mindestsatz von rund 67 Prozent zahlen, der dem Arbeitslosengeld entspricht. Kurzarbeit gab es zuletzt vor 15 Jahren.

Der Stern, für den Dirk und seine Kollegen arbeiten, schien unsinkbar. Er ist von jedem Weinberg rund um Stuttgart zu sehen, als ob er alle Bewohner ständig mahnt: "Wenn der Daimler hustet, hat der Schwabe eine Grippe." Das sagt Dirk, er zitiert ein altes Sprichwort in der Region und klatscht hin und wieder, wenn ein Betriebsrat auf dem orangefarbenen Mercedes-Laster gegen den Lärm der Straße die Millionengehälter der Manager geißelt. Den Stern kann er hier nicht mehr sehen, über den Köpfen der IG-Metall-Demo ist nur Grau: Den Eingang zur Konzernzentrale, vor der sie protestieren, überspannt die sechsspurige Bundesstraße 14, auf gewaltigen Betonpfeilern ruhend. Ein Steinwurf weit weg die architektonische Wunderschnecke - das pompöse Mercedes-Benz-Museum. Es windet sich filigran neben der B 14 empor und gemahnt jeden Vorbeifahrer der uralten Autotradition, die er hier überquert. "Und die Manager fahren das Unternehmen gegen die Wand", sagt Dirk unter der Brücke.

Schwermut klingt mit, wenn er redet. Als ob sich eine alte Liebe verlebt hätte. Wahrscheinlich glaubten die Arbeiter hier einst an die großen Werte des Unternehmens. Die klingen heute angesichts ihrer Verunsicherung durch die Krise fast ironisch: Ordnung. Disziplin. Perfektion. Sicherheit. Langfristigkeit. Stabilität. Qualität. Direktheit. Leistung. Arbeitswille. Die Aufzählung stammt von Führungskräften selbst. Die Sozialwissenschaftlerin Martina Müller hat sie für ihre Dissertation über die Werte des Konzerns befragt. Es ging um die Frage, ob die Traditionen der Unternehmen Daimler und Chrysler bei ihrer Fusion hinderlich oder förderlich waren.

Das Ergebnis zeigt, wie eine Region einen Konzern formte und ein Konzern eine Region. "Das Beste oder nichts", lautete das ewige Motto des Unternehmensgründers Gottlieb Wilhelm Däumler, später Daimler. Gottes schönste Gabe ist der Schwabe. Sagt der Schwabe. Es war dieses schwäbische Selbstverständnis, das folgerichtig zu einer Automarke für höhere Ansprüche führte, vermutet Müller.

Die Daimler-Arbeiter sind derzeit wenig vom Stolz beseelt. Sie kommen "vom Benziner", "vom Diesel" "oder aus der Kurbelwelle", je nach Abteilung in der Motorenproduktion, wo sie drehen, fräsen, härten, prüfen. Wem nach der Schicht nach Gesellschaft ist, der kehrt in eine der Kneipen direkt neben dem Werk ein, am Bahnhof von Untertürkheim, wo noch immer ein Schild aus vergangenen Zeiten steht: "DaimlerChrysler AG". Das Bistro "Drehscheibe" ist winzig, verraucht, mit weißen Kacheln getäfelt und wird bereits nach der Frühschicht um 14 Uhr mit Musik beschallt. "Love hurts" und Spielautomaten. Im Eck langhaarige Gabelstaplerfahrer von einem externen Logistiker unter einem VfB-Stuttgart-Wappen. Bier und keine Kommentare. Lediglich Jojo und Achmed klagen ihr seltsames Leid: Weil bis 2012 niemand gekündigt werden darf, haben sie Jojo eine Abfindung angeboten, falls er geht. Aber was, fragt er, solle man mit 200.000 Euro, wenn man auf der Straße sitzt? Achmed ist relaxter. Er hat einen Job, einen guten, und schickt Geld zur Familie heim.

So richtig erzählen, wie es im Betrieb zugeht, will fast niemand, und wenn, dann unter falschem Namen. So wie Dirk, Jürgen und Christian, die so nicht heißen. Sie wollen keinen Ärger im Betrieb. Wenn um 23 Uhr die Spätschicht zu Ende ist, dann besuchen sie noch ihre Kapelle unweit der Raucherkneipe Drehscheibe. "Letzte Instanz" heißt ihre Zuflucht, die um religiösen Flair bemüht ist. Verwinkelt und verschroben ist sie, die Decke mit Sixtinische-Kapelle-Zitaten und Adam und Eva, Zeus und Jupiter bemalt, die sich die Hand halten. Sina und Band bluesen vor einer Kanzel "After midnight" und im Eck steht ein Mönch in brauner Kutte. Eine Puppe, aber könnte er hören und sprechen, wüsste er wohl unzählige Geschichten wiederzugeben, von den Arbeitern nach ihrer Schicht, wo sie Motoren abknacken oder ihren Capo zum Teufel wünschen. Oder nun, Anfang Dezember, wie Dirk ziemlich enttäuscht sind vom Tarifstreit. Statt acht nun eben 2,9 Prozent mehr Lohn, kein Streik, nichts. War ja klar. Obwohl die Kollegen zum Arbeitskampf bereit gewesen wären. So bleibt als letzte Instanz ein Bier oder Kaffee in der "Kneipe mit Bahnhof" in Untertürkheim: ein Dorf, eingerahmt vom Hang des Neckartals, einem Weltkonzern und dem Stadion des VFB Stuttgart. Das heißt Mercedes-Benz-Arena.

Es muss so heißen in einer Stadt, die sich wie selbstverständlich am Auto ausrichtet. Stuttgart wollte schon alles Mögliche sein. Olympiastadt 2012, Kinderstadt, Sportstadt, Stadt am Fluss, in jedem Fall aber seit den 30er Jahren: Autostadt. Graue Asphaltpisten wie die B 14 zergliedern den Talkessel, hegen die autofreie Fußgängerzone von allen Seiten ein. Über allem dreht sich ein anderer Daimler-Stern, der auf dem Hauptbahnhof. Allgegenwärtig scheint er zu sein, und so wird Identität auch zum regionalen Geschäftsmodell. Zwischen Firmen, Hochschulen, Stadt und Land gibt es sozialwissenschaftlich gesprochen "untraded interdependencies". Eine Art unausgesprochene wechselseitige Abhängigkeit, die über reine Geschäftsbeziehungen hinausgeht. "Da liegt was in der Luft", übersetzt Jannika Mattes ziemlich frei. Sie untersucht in ihrer Promotion an der Universität Oldenburg, wie multinationale Unternehmen aus ihren Kernregionen lernen, und hat eine Art ökonomischen Idealismus zwischen Zulieferern und Daimler entdeckt. "Die Identifikation mit dem Unternehmen ist extrem, das klingt fast liebevoll, wenn die vom Daimler reden", sagt sie.

Der Mix aus Kooperation und Konkurrenzkampf gilt als besonders fruchtbar und effektiv. Der Nachteil: Zulieferer werden bisweilen extrem unter Druck gesetzt, um Kosten zu senken. Allerdings finden bei ihnen auch drei Viertel der Forschung für die Autoindustrie statt. Mattes Doktorvater Martin Heidenreich spricht von einer "institutionellen Abhängigkeit" der Region vom Auto- und Maschinenbau. Was auch fatale Auswirkungen haben kann. Im Jahr 1993, als Deutschland in die letzte große Rezession schlitterte, schrumpfte die Wirtschaft in Baden-Württemberg um 4,7 Prozent, die in Deutschland um lediglich 1,1 Prozent.

Dirk hat sie alle mitgemacht, die Hochs und die Tiefs der Autoindustrie in den letzten 25 Jahren. Jürgen Schrempp und 1998 die Idee, mit Chrysler zu fusionieren, Milliarden pumpten sie in die USA, vergangenes Jahr hat Zwetschge das Abenteuer wieder beendet. "Es war früher andersch …", Dirk zögert in seinem ruhigen, gemütlichen Schwäbisch. Unter den Facharbeitern der "Letzten Instanz" scheint nicht mehr viel übrig geblieben zu sein von dem früheren Stolz, bei Daimler zu arbeiten. "Andersch eben. Früher gab es noch Zusammenhalt unter den Kollegen. Und jetzt gehts eben um Profit", sagt Dirk. "Du wirst jedes Jahr mehr ausgequetscht", pflichtet ihm Christian bei, der zwar Autos baut, aber nur Fahrrad fährt. Jürgen erzählt von einem Meister, der schon mal bei seinem Hausarzt angerufen hätte, um sich zu erkundigen, ob Jürgen denn wirklich krank sei. Was arbeitsrechtlich nicht erlaubt ist und für miese Stimmung sorgt.

Und keiner sagt ihnen, was auf sie zukommt. Vor Kurzem liefen sie nach der Frühschicht zum Werktor gegenüber dem Bahnhof. Die Straße ist lang und gerade und man sieht schon von weitem, ob wieder was passiert ist im Konzern. Immer dann, wenn Journalisten rumstehen und jemanden suchen, der was in die Kamera sagt. Die Frage dieses Mal: Was halten sie von Kurzarbeit. Aha, es wird also Kurzarbeit geben, dachten sie: Typisch, erst die Presse informieren, dann die Arbeiter. Ab Januar haben sie nun ziemlich lange Wochenenden. Momentan sitzen die drei Facharbeiter erst mal daheim. Seit Freitag der letzten Woche stehen die Bänder still. Was man nicht wirklich merkt, wenn man zwischen B 14 und Mercedes-Benz-Museum nach Stuttgart fährt: Der gute Stern dreht sich immer.

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1 Kommentar

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  • KA
    Knut Assenbacher

    Gut beschrieben wie eng das Lebensgefühl der Region Stuttgart mit dem Konzern verbunden ist.