: Die Auserwählten
Viele „Querdenker“ sollen gebildet, links und grün sein und immer recht haben. Das hat eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung ergeben, die wissen wollte, wo ihre Wurzeln liegen. Viele stecken im Boden der Öko-Partei, und schon wird gefragt, ob dieser Protest gar ein „links-grünes Projekt“ sei.
Von Josef-Otto Freudenreich↓
Schau einer an. Fast 30 Prozent der „Querdenker“ im Südwesten geben an, früher Grüne gewählt zu haben. Danach folgen die Linken (18), die AfD (15) und die CDU mit 10 Prozent. Sie sind im Durchschnitt 47 Jahre alt, 34 Prozent haben einen Studienabschluss, zählen zur Mittelschicht. So zumindest haben es Oliver Nachtwey und Nadine Frei von der Uni Basel ermittelt, im Auftrag der grünen Heinrich-Böll-Stiftung, die nach den besonderen Merkmalen der Bewegung fragte, und warum sie gerade in Baden-Württemberg stark ist? Jetzt hat sie es schwarz auf weiß: wegen der Geschichte der Grünen. Und schon titelt die FAZ, das Zentralorgan des Großbürgertums, die „Querdenker“ hätten „linke Wurzeln“.
Nun ist eine Überschrift, die in den Kram passt, das eine, die Faktenbasis einer wissenschaftlichen Studie das andere. Zugrunde liegen ihr 1.152 Rückmeldungen aus dem Telegram-Kanal der „Querdenker“, Interviews bei Demonstrationen und Expertengespräche, alles nicht repräsentativ und wahrscheinlich auch nicht der Wahrheit letzter Schluss, weil Nachtwey & Co. Teil des Systems sind, das die Befragten bekanntlich ablehnen. Das kann zu Verzerrungen in der Kommunikation führen. Eingegrenzt haben sie den Forschungsgegenstand, also jenen heterogenen Haufen von Protestlern, auf vier Ursprungmilieus. Erstens auf das alternative, zweitens auf das anthroposophische, drittens auf das christliche-evangelikale, viertens auf das bürgerliche Protest-Milieu.
Zumindest fromm sind sie nicht
Drei und vier sind relativ schnell abgehandelt, nachdem sich die „Querdenker“, abgesehen von den bibelverteilenden „Christen im Widerstand“, nicht als besonders fromm erwiesen. Halleluja-Gesänge auf dem Stuttgarter Börsenplatz blieben eher sparsam besucht. Der bürgerliche Protest in Gestalt von Stuttgart 21 taugte auch nicht zur möglichen Vaterschaft, weil weder persönliche noch politische Schnittmengen zu erkennen waren. Die befragten Experten Matthias von Hermann, Werner Sauerborn und Kontext-Redakteur Oliver Stenzel betonten, dass bei S 21 rational handelnde BürgerInnen mit guten Argumenten zugange waren.
Bleiben also noch eins und zwei, das alternative und anthroposophische Lager. Unter eins finden sich lila Latzhosen, Peaceniks, Vogelschützer und langhaarige Kommunarden wieder, die 1980 zum Gründungsparteitag der Grünen in Karlsruhe gepilgert sind. Linke Lehrer wie der Tübinger Walter Schwenninger mit legendärem Alpacapulli oder der erste Öko-Bauer Baldur Springmann, der sich bald als Rechtsradikaler mit Hang zur Spiritualität entpuppte. Später sollten daraus die New Ager werden, die wohlbestallt und fern von Marx und Guevara sich dem Konsum, der Meditation und Bewusstseinserweiterung widmeten. Das sieht Nachtwey, rote Schuhe, rote Socken, als eine Andockstation für „Querdenker“.
Am wichtigsten aber sind die Anthroposophen. Hier kommt Rudolf Steiner, ihr Erfinder und Begründer der Waldorfschulen ins Spiel. Seine Lehre, eine esoterische Geheimwissenschaft, die nur mit höherem Wissen zu verstehen ist, verspricht ihrer Kundschaft eine andere, natürlichere Medizin, Landwirtschaft und Schule. Hotspot aller Steiner-Nachfahren ist Stuttgart, hier ist vor 100 Jahren die erste Waldorfschule gegründet worden, in Baden-Württemberg sind es 59 (von 236 in Deutschland), sieben (von 13) Kliniken, 553 von 1.740 Demeterhöfen. Und der grüne Ministerpräsident hält die Festrede zum Jubiläum. Alles nachzulesen in Kontext, schon im Juli 2020, aufgeschrieben von Dietrich Krauß, dem Grimme-Preisträger von 2015.
Und was heißt das nun für die Phänomenologie des „Querdenkens“? Dass diese Fähigkeit nur Eingeweihten, ja Auserwählten gegeben ist, die es schaffen, ihrer Expertise gegen Widerstand, Stigmatisierung und Repression Ausdruck zu verleihen. Sie wissen um die wirklichen Beweggründe staatlicher Maßnahmen (Diktatur!), der Pharmaindustrie (Bill Gates!), der Medien (Steigbügelhalter!), und kritisieren sie scharf, weil sie sich dem „heroischen Widerstandskampf“ verpflichtet fühlten. Als libertäre, selbstbestimmte, eigenverantwortliche Wesen.
Rechts außen bleibt eine Leerstelle
Sagt Soziologin Nadine Frei, die viel herumgekommen ist bei Corona-Demos und dabei insbesondere Frauen erlebt hat, die mit großer Vehemenz aufgetreten sind. Mütter aus der Mittelschicht, existenziell von der Pandemie nicht betroffen, die ihr Hoheitsgebiet – Haushalt und Familie – sichern und den Staat als Eindringling begreifen. Der habe dort nichts zu suchen, betonten sie, weder bei ihrer Individualität („Masken sind Kindesmisshandlung“) noch in der (Waldorf)Schule.
Die Schweizer Wissenschaftlerin Frei, 36, aufgewachsen auf einem Bauernhof bei Luzern, hat vieles erstaunlich gefunden, was sie in dieser Melange aus Esoterik und Antiautoritärem vorgefunden hat. Nur eines war es nicht: emanzipatorisch und solidarisch. Laut der Studie sind 60 Prozent der „Querdenker“ weiblich.
Erstaunlich unbestimmt bleiben die Soziologen bei einem Thema, das geradezu stiefmütterlich behandelt wird, obwohl es immer mit den „Querdenkern“ verbunden ist: die Nähe zum Rechtsextremismus. Oder ist ihnen das aufmerksame Auge des Verfassungsschutzes auf Michael Ballweg und Kameraden entgangen? Hier hätte sich ein fünftes Ursprungsmilieu aufmachen lassen, das zeigt, wo die rechten Bäume in The Länd gewachsen sind. Mit der NPD, den Republikanern, der AfD, bis hin zu ihrer „Demo für alle“, die für ein zutiefst reaktionäres Gesellschaftsbild („Mum, Dad & Kids“) steht. An dieser Stelle behilft sich Nachtwey mit Verweisen auf Ostdeutschland, wo die „Querdenker“ stärker von der „extremen Rechten geprägt“ seien. Wie er einräumt, bereitet ihm auch die Identifikation dieser Population Probleme, seitdem sie nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatze herumspringt. In seinem Alter, 46, sei es schwierig, bekennt er, alle neuen Nazi-Tattoos zu erkennen.
Fleisch vom Fleisch der Grünen?
Links ist die Analyse leichter. Seitdem die Grünen keine Anti-Parteien-Partei mehr sind, sondern mitregierende Staatsfreunde, ihre Jugendorganisation „Gesundheit statt Globuli“ propagiert, fühle sich der einst nahestehende „Querdenker“-Fan hier nicht mehr zuhause, konstatiert Nachtwey, und verweist auf einen „starken Entfremdungsprozess“. Einen Richtungswechsel inklusive. Die Bewegung, die eher von links komme, wandere jetzt nach rechts, sagt der Soziologe, und wartet auch schon mit Zahlen auf. Seine befragte Klientel will künftig zu 27 Prozent AfD wählen.
Das wird den grünen Landesvorsitzenden, Oliver Hildenbrand, in gewisser Weise beruhigen. Schon wird er am Rande der Präsentation der Studie im Stuttgarter Literaturhaus mit der Frage gequält, ob die „Querdenker“ nicht das Fleisch von Fleische der Grünen seien? Wie vor fünf Jahren diskutiert, die AfD von der CDU. Insofern ist verständlich, wenn er die lasche Behandlung des Themas rechts moniert und fragt, wo dieses Ursprungsmilieu bleibt, womit der Blick noch enger auf Grünes gerichtet wird.
Aber nun gehen sie ja von sich aus, auf quasi natürlichem Weg, und er muss nicht ständig versichern, dass er mit Leuten, die von „unbändigem Misstrauen“ geprägt seien, nichts zu tun haben will. Bis es aber soweit ist, wird der Landeschef immer wieder erklären müssen, warum die „Querdenker“ kein „links-grünes Projekt“ sind, wie von der FAZ angenommen. Die ersten Berichte, von Hildenbrand als „unangenehm“ empfunden, lassen auf eine Verfestigung der Erzählung, heute Narrativ genannt, schließen. Sicher sehr zur Freude der Böll-Stiftung, der Auftraggeberin.
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