■ Mit Ossis und Wessis auf du und du: Die Aufbaudeutschen
Berlin (dpa/taz) – Die westdeutschen Karikaturisten müssen umlernen. Der ewig mosernde und mäkelnde Ossi hat ausgedient – falls es ihn in der Wirklichkeit je gab. Das Mannheimer „Institut für praxisorientierte Sozialforschung“ (ipos) hat im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Banken West- und Ostdeutsche gefragt, wie sie ihre wirtschaftliche Zukunft einschätzen. Das Ergebnis ist verblüffend eindeutig: 21 Prozent der befragten Wessis, aber nur zwölf Prozent der Ossis glauben, daß es ihnen in den nächsten Jahren schlechtergehen wird.
Wiedervereingt im Gefühl des Aufschwungs sind die beiden Deutschländer dennoch nicht. Der schwer beleidigte Wessi auf der einen und der stramm ackernde Ossi auf der anderen Seite werden in Zukunft das Bild beherrschen. Einig sind sich beide nur in zwei Dingen: sie mißtrauen politischen Prognosen und wollen nichts von ihrem Besitzstand hergeben. Nur 55 Prozent der Befragten nehmen an, daß die wirtschaftlichen Probleme der neuen Bundesländer in zehn Jahren gelöst sind. Und beide, Optimisten wie Pessimisten, sind es leid, dafür aus der eigenen Kasse zu bezahlen, am meisten die Ossis, von denen nur noch 18 Prozent bereit sind, zur Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse in Ostdeutschland auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten. Immerhin 38 Prozent der Befragten im Westen glauben, ein solches Opfer bringen zu müssen.
Der innerdeutsche Streit um die gefallene Mauer dürfte anhalten. Das Mannheimer Institut konstatiert einen auffallenden Widerspruch zwischen privaten Ansprüchen und der Bewertung der gesamtwirtschaftlichen Zukunft. Für ihren eigenen Haushalt erwarten Ossis wie Wessis einen Wohlstand, den sie der wirtschaftlichen Lage Deutschlands gar nicht zutrauen. Die Osteutschen glauben jedoch eher als die Westdeutschen, daß sie diese Kluft überbrücken und auch unter objektiv ungüstigen Umständen gewinnen werden. Zunehmend übernehmen sie deshalb die Rolle des Aufbaudeutschen im Nachkriegs-Wirtschaftswunder, über die Hälfte der Befragten in den neuen Bundesländern fühlen sich heute „in erster Line als Deutsche“ – ein Nationalgefühl, das im Westen fast unbekannt ist: 80 Prozent fühlen sich hier nur als Westdeutsche. Sie betrachten die Wiedervereinigung zwar mehrheitlich immer noch als „richtigen Schritt“, möchten aber mit dem Osten nichts zu tun haben und fürchten um ihren Lebensstandard. nh
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