■ Die Asienkrise hat die politischen Machtkonstellationen und gesellschaftlichen Leitbilder verschoben. Eine Zwischenbilanz: Asiens blaues Wunder
Als sich am 2. Juli 1997 Thailands Regierung gezwungen sah, die einheimische Währung vom US-Dollar abzukoppeln, stürzten der Kurs des Baht und anderer südostasiatischer Währungen jäh ab. Nur einen Tag zuvor war mit der Rückgabe Hongkongs an China das symbolische Ende des westlichen Kolonialismus in Asien gefeiert worden. Erwartungsvoll blickte die Region in das prophezeite asiatisch-pazifische Jahrhundert, das nicht selten mit einem Verfall westlicher Gesellschaften assoziiert wurde.
Es kam anders. Ausgehend von den Währungsspekulanten waren die finanziellen und ökonomischen Schwächen in den bis dahin hochgelobten Boomstaaten nicht länger zu übersehen. Panikartig verließ das internationale Kapital die Region. Ökonomen und Politiker gingen zunächst von einer kurzfristigen Krise aus, die sie bereits dieses Jahr wenn nicht überwunden, so doch zumindest im Trend umgekehrt haben wollten. Jetzt, nach einem Jahr andauernder Hiobsbotschaften, herrscht die Meinung vor, in Ost- und Südostasien habe die schwerste Rezession der Nachkriegszeit erst begonnen.
Die Krise hat die Region nicht nur tief verunsichert, sondern sie hat auch zu politischen Machtverschiebungen geführt. Von manchen werden die jüngsten Entwicklungen mit dem gerade beendeten Kolonialismus verglichen. Denn die Asienkrise eröffnete Washington neue politische Einflußmöglichkeiten, nachdem der Einfluß der USA in Fernost mit der Schließung ihrer philippinischen Militärbasen Anfang der 90er Jahre auch militärisch reduziert worden war. Über den Internationalen Währungsfonds (IWF) als zentralem Krisenmanager exportieren die USA ihr neoliberales Wirtschaftsmodell in die Tigerstaaten, die bis dahin ihren eigenen, eher an Japan und am Schutz einheimischer Eliten orientierten Weg gegangen waren. Westliche Konzerne erhalten mit der Krise die Chance, sich in Asien in bis dahin nur schwer zugängliche Sektoren einzukaufen und die geschützten Märkte der Tigerstaaten für ihre Produkte zu öffnen. Wie das auf Rekordhöhe gestiegene Handelsbilanzdefizit der USA zeigt, ist die Asienkrise für den Westen allerdings auch mit Risiken verbunden.
Der von Washington dominierte IWF muß die einst so stolzen Tiger kaum dressieren. Die Krise liefert sie ihm vielmehr als Bettvorleger frei Haus. Mit den Finanzpaketen für Thailand, Indonesien und Süd-Korea in der Rekordsumme von knapp 120 Milliarden Dollar hat der IWF in Asien einen enormen Machtgewinn erfahren. Eine von der in Hongkong erscheinenden Zeitschrift Asiaweek vorgelegte Liste der 50 wichtigsten Personen Asiens bringt dies auf den Punkt. Im Vorjahr nicht auf der Liste, steht IWF-Chef Michel Camdessus jetzt unangefochten an erster Stelle. Er sei Asiens „Retter und Peiniger“, so das Magazin.
Neben den USA und dem IWF hat politisch die Volksrepublik China bisher am meisten von der Asienkrise profitiert. Trotz eigener großer Risiken bei der Reform der Staatsbetriebe hat sich die Volksrepublik bisher als recht immun gegen die Asienkrise erwiesen. Zugleich hat Peking mit dem Festhalten am festen Wechselkurs einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Region geleistet. Damit kommt China eine Schlüsselrolle in der Region zu. Denn Pekings künftiger Kurs entscheidet über Erfolg oder Mißerfolg des Krisenmanagements.
Neben den offensichtlichen Losern Thailand, Süd-Korea und Indonesien, aber auch Malaysia und sogar Hongkong, ist Japan der große Verlierer. Anfang November, als die Finanzminister der Region die Möglichkeit für einen „asiatischen IWF“ diskutierten, scheute Tokio vor entsprechenden Plänen zurück. Sie hätten Nippon mit Duldung der Region und gegen den Willen Washingtons und des IWFs eine politische Führungsrolle in Asien ermöglicht, die in Abgrenzung zum heutigen westlich dominierten Krisenmanagement gestanden hätte. Vielmehr wurde Japan inzwischen selbst zum Patienten. Mitte Juni mußte sich die größte regionale Wirtschaftsmacht und weltgrößte Gläubigernation erstmals von den USA bei der Stützung des Yen helfen lassen. Japan trägt damit mehr zur Krise als zu ihrer Lösung bei. Ohne wirtschaftliche Gesundung Japans dürfte die Überwindung der Asienkrise kaum möglich sein.
Still ist es inzwischen um die sogenannten asiatischen Werte geworden. Sie dienten autoritären Regimen nicht nur zur Begründung ihrer Herrschaft, sondern bildeten angeblich die Grundlage des fernöstlichen Wirtschaftswunders. Heute bewegen sich ihre Protagonisten, wie Malaysias Premierminister Mahathir Mohamad, am Rande der Lächerlichkeit. Seine fortdauernden antiwestlichen Tiraden werden von den Märkten inzwischen mit Kursverlusten quittiert.
Hatten die asiatischen Werte auch im Westen Anhänger, sehen jetzt viele mit der Krise in Asien die Demokratie westlicher Prägung auf dem Vormarsch. Die Asienkrise zeige, daß demokratische Systeme aufgrund der eingebauten Kontrollmechanismen transparenter und weniger krisenanfällig seien. Auf den ersten Blick hat die Krise sogar dazu beitragen, daß in Thailand, Süd-Korea und Indonesien korrupte und autoritäre Regime durch demokratischere ersetzt wurden.
Doch es ist längst noch nicht ausgemacht, daß die Asienkrise wirklich die demokratischen Kräfte in der Region stärkt. Die bescheidene Demokratisierung hat den bitteren Beigeschmack, daß sie im Rahmen rigider IWF- Programme stattfindet. Diese unterwerfen die neuen Regierungen dem Diktat der globalisierten Märkte. Während es kaum Handlungsspielräume gibt, droht die Gefahr massiver Verelendung. So erwartet die Weltbank zum Beispiel allein für Indonesien 20 Millionen Arbeitslose, 50 Millionen Menschen sind von Armut bedroht. Diente der vorausgegangene Wirtschaftsboom jahrelang zur Rechtfertigung autoritärer Regime, könnte eine mit der Demokratisierung einhergehende Verelendung die neuen politischen Systeme diskreditieren. Ohne soziale Gerechtigkeit wird die Demokratisierung zur Farce. Es wäre dann nicht verwunderlich, wenn eine Sehnsucht nach den Boomjahren unter Suharto aufkommen sollte.
In Ost- und Südostasien galten bisher allein hohe Wachstumsraten als Antwort auf die soziale Frage. Mit dem Ausbleiben des Wachstums stellt sich diese Frage neu. Im ersten Jahr der Krise ist die Antwort darauf ausgeblieben. Sie wird für die politische Zukunft der Region von zentraler Bedeutung sein. Sven Hansen
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