piwik no script img

Die Art

■ Ständige VdK

Wie jeder weiß, gibt es in Berlin (und nicht nur da) eine kaum überschaubare Zahl von Bands, die bei aller Verschiedenheit eines gemeinsam haben: sie spielen bis zum bitteren Ende, gleich der Swingkapelle auf der absaufenden Titanic die freundlichen Lieder von Gestern. Nicht so Die Art. In den frühen 80ern aus der Leipziger Punk-Keimzelle Wutanfall entstanden, gehörte die Band, welche sich zunächst den beziehungsreichen Namen Die Zucht gab, zu den ständigen Verfolgten des Kulturstalinismus, der die Provinzen immer noch härter heimzusuchen pflegte als die Hauptstadt.

Was folgte, waren ständige Umbesetzungen und die Umbenennung, sowie musikalische Entwicklung zu (mehr) Art, die Produktion diverser Tapes auf dem legendären Leipziger Kassetten-Label »Hartmut Prdo.«, wobei »Dry«, im letzten Jahr der Ära Honecker erschienen, alle bis dato in diesem Land in dieser Szene erzielten Verkaufszahlen bei weitem in die Schatten stellte. Weiterhin reger Konzerttourismus (d.h. ca. 300 Gigs zwischen 1987 und 1990) im Ländle zwischen Erzgebirge und Ostsee. Kurz, Die Art machte aus sich das, was im Allgemeinen als Kultband bezeichnet wird.

Als das bereits arg leckgeschlagene und schon im Sinken begriffene Nobelschiff der sozialistischen Kulturoffiziellen zu einer letzten Promotionmaßnahme in Sachen DDR- Kultur gen Paris ablegte, war die sonst so stiefmütterlich behandelte Punkband mit an Bord. Nun, die Geschichte ist nicht neu, das Ding mit dem Sozialismus platzte und mit ihm ein beträchtlicher Teil des Kultstatus, von dem eine »Ostunderground«-Band recht ordentlich leben konnte.

Die Art fand sich, wie all die anderen Ost- Indies auch, im Planschbecken des westdeutschen Rock'n‘Roll wieder. Trotzdem, die Debüt-LP »Fear« (erschienen bei Zong- Records, dem Nachfolge-Label der staatlichen Amiga und so klingt's auch, mit Verlaub) ist in ihrer ersten Auflage bereits vergriffen.

Art-Konzerte sind ein Ereignis. Wundervolle, sehnsüchtige Melodien, sägende Gitarren, treibende Grooves, laut, hart, düster, die bös-sarkastische Begleitmusik zur Entscheidungsschlacht, der Abgesang auf die Errungenschaften der abendländischen Zivilisation, Lieder vom menschlichen Unterliegen in einer Welt der Entfremdung. Oder war da etwa noch ein Glanz in diesen Augen, ein Funke Hoffnung bis zum Schluß, wider besseren Wissens? R.Grahl

Um 22 Uhr im Klub JoJo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen