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Archiv-Artikel

Die Armut von innen

SCHÖN IM HERZEN AFRIKAS: MALAWI

Die Republik Malawi ist ein Staat in Südostafrika, der an Tansania, Mosambik und Sambia grenzt. Die ehemalige britische Kolonie ist seit 1964 unabhängig. Ihre Volkswirtschaft zählt zu den ärmsten der Welt, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt 142 Euro pro Jahr. Die Wirtschaft hängt von den erheblichen finanziellen Zuschüssen von IWF, Weltbank und einzelnen Spendernationen ab. Große Teile des Straßensystems wurden zum Beispiel mit deutscher Entwicklungshilfe gebaut.

Die Probleme Malawis beruhen zum Teil auf der Dürre und den ausgelaugten Böden. Laut einem Bericht der New York Times wurde der Agrarstaat dennoch mittlerweile zum erfolgreichsten Nahrungsmittelexporteur im südlichen Afrika – dank intensiver und alle Ratschläge von Experten in den Wind schlagender Bodendüngung.

Die Schönheit Malawis erschließt sich dem Reisenden bei der Erkundung der Natursehenswürdigkeiten. Die Kapichirawasserfälle, der Malawisee und die zahlreichen Nationalparks locken trotz aller Widrigkeiten Touristen in das Land (www.malawitourism.com). Das Auswärtige Amt empfiehlt vor Anreise eine Impfung gegen Gelbfieber und rät aufgrund der Malaria dringend zu Mückenschutz. MRE

Ein Fotograf ist meist unsichtbar. Das muss auch so sein. Denn seine Aufgabe ist es ja, ein Leben festzuhalten, das sich unabhängig von seiner Präsenz abspielt. Doch diese Fotoserie über Armut in Malawi hat diese Regel gebrochen. Der Fotograf hat sogar Spuren hinterlassen – auch im malawischen Dickisoni

VON JAN BANNING

Ob ich nicht an einer Fotoreportage über die Armut in Afrika mitwirken wolle – diese Frage wurde mir im Mai 2005 vom Magazin „M“ gestellt, das einmal im Monat der niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad beiliegt. Ich war überrascht. Wenn man als Freelancer, als freiberuflicher Fotograf, eine Redaktion anrufen und ihr einen solchen Vorschlag unterbreiten würde, dann hätte man große Chancen, spöttisch abgewimmelt zu werden: „Auf so ein unoriginelles Thema haben unsere Leser nun wirklich nicht gewartet.“ Und nun kam eine Redaktion selbst mit dieser Idee!

Dem Magazin war aufgefallen, dass trotz jahrelanger Afrikaberichterstattung noch nie dargestellt worden ist, was Armut im Alltag bedeutet. Natürlich gibt es viele Bücher und Zeitungsartikel über Armut, aber eigentlich wird sie immer nur im Zusammenhang mit Krisen dargestellt – also bei Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Bürgerkriegen. Aber was bedeutet es ganz allgemein, jahrein, jahraus arm zu sein?

Bei den Fotos wollten die Redaktion und ich alle Klischees vermeiden. Einerseits sollte es also keine explizite Krisenfotografie sein, die mit Kleinbild, Weitwinkel und in Schwarz-Weiß auf starke visuelle Emotionen setzt. Andererseits wollten wir aber auch die ästhetische Oberflächlichkeit der Bildbände umgehen.

Das von uns gewählte Dorf sollte repräsentativ für Afrika sein. Unsere Kriterien: Es sollte sich nicht in einem Krisengebiet befinden, und es sollte fernab der Asphaltstraßen liegen, die immer zusätzliche Wirtschaftsaktivitäten anziehen. Wir mussten einen Übersetzer haben, der die Gegend kannte, und wir mussten selbst dort übernachten können.

Wir landeten schließlich in Dickisoni in Malawi, einem Weiler mit 45 Hütten und knapp dreihundert Einwohnern, von denen zwei Drittel Kinder waren. Wir trafen Mitte Mai ein, kurz nach der – sehr kärglichen – Mais- und Tabakernte. Mit unserem Übersetzer bezogen wir eine der Lehmhütten, mitten im Dorf. Es überraschte mich, wie groß die Kluft zwischen drinnen und draußen ist. Draußen wird getanzt, Fußball gespielt, geredet. Kurz: Trotz der Armut spielte sich draußen ein scheinbar normales Gesellschaftsleben ab. Drinnen hingegen, wo die kümmerlichen Nahrungsvorräte gelagert wurden, starrte der Mangel den Menschen ins Gesicht. Hier konnten sie genau sehen, wie lange die eingefahrene Ernte reichen würde – höchstens zwei oder drei der 45 Haushalte würden bis zur nächsten Erntezeit nicht hungern müssen. Die Lage erinnerte die Dorfbewohner an den Vorabend des Jahrs 2002, als einundzwanzig von ihnen verhungert waren.

Anfangs machte ich draußen „träge“ Farbaufnahmen in einem reportageartigen Stil, die die einfachen Dinge des Lebens in dieser ruhigen Jahreszeit zeigten: Waschen, Fegen, Rumhängen, Besuch einer der Caféhütten. Drinnen porträtierte ich die Bewohner mit ihren wenigen Besitztümern, wobei ich sie wie auf dem Bahnhof posieren ließ. In beiden Fällen fotografierte ich in Farbe: Das machte es „echter“, und es war sowieso nicht zu befürchten, dass die Bilder ins Klischee abrutschen würden. Denn die afrikanische Armut wird selten drinnen fotografiert. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich die Dorfbewohner eigentlich nur nachts in ihren Hütten aufhalten. Zudem stellen die winzigen Türen und das fast völlige Fehlen von Fenstern einen Fotografen vor ziemliche technische Probleme. Ich brauchte bis zu eineinhalb Stunden, um die Hütten auszuleuchten – wobei ich außer Blitzlichtern auch noch große Bögen Silberfolie benutzte.

Sobald die Fotoreportage im September in „M“ erschienen war, fuhr unser Dolmetscher mit seinem alten Fahrrad über die Sandwege nach Dickisoni. Auf dem Gepäckträger hatte er ein Paket mit fünfzig Ausgaben des Hochglanzmagazins, das auf dem Umschlag ein Foto der Dorfbewohner zeigte und den Titel „Das Gesicht der Armut“ trug. Außerdem händigte er den Dorfbewohnern noch einen Stapel Gruppenfotos und Porträts aus.

Weitere zwei Monate später kehrten wir nach Dickisoni zurück. Wir hatten beschlossen, die Reportage zu einem Buch auszuweiten, und das Rotterdamer Museum „Die Kunsthalle“ wollte eine Ausstellung mit meinen Fotos veranstalten. Daher wollte ich die Porträtstrecken ausdehnen.

Inzwischen hatten NRC-Leser eine Spendenaktion ins Leben gerufen und die Dorfbewohner mit Kunstdünger sowie ausreichend Mais versorgt, damit sie bis zur nächsten Ernte überleben konnten. Unser erster Besuch mit einem rein journalistischen Anliegen hatte eine kleine Hilfsaktion hervorgerufen, und während wir eigentlich als Beobachter gekommen waren und nicht eingreifen wollten, hatte sich das Dorf durch unseren Aufenthalt ziemlich verändert.

Bei meinen Besuchen in den Hütten sah ich nun hier und dort ein Exemplar des NRC-Magazins oder eines meiner Gruppenfotos, Porträts und Probepolaroids. Manchmal gerieten diese Bilder in den Fokus, während ich die zweite Serie fotografierte. Wenn die Fotos „authentisch“ aussehen sollten, hätte ich eingreifen und diese „Fremdkörper“ entfernen müssen. Aber ihre Anwesenheit war eine inhaltlich sehr passende Bebilderung der Wirkung, die unser Aufenthalt in Dickisoni erzielt hatte – es war eine anschaulichere und gleichzeitig subtilere Metapher als die Kunstdüngersäcke, die man mit dem Geld der NRC-Leser angeschafft hatte.

Infolge unserer eigenen Gegenwart auf den Bildern wurde das in der journalistischen Fotografie so häufige Prinzip der „Fly on the wall“ unterlaufen: In der Serie über Malawi gibt es keinen scheinbar unsichtbaren Fotografen, der ein Leben festhält, das sich völlig unabhängig von seiner Anwesenheit abspielt. Im Gegenteil: Die Spuren des Fotografen sind sichtbar vorhanden.

Einige dieser Einzelheiten fallen nur beim genauen Hinsehen ins Auge – und wenn das Foto ausreichend vergrößert ist. Die beste Form der Präsentation ist denn auch die Ausstellung – dort wird der konzentrierte Betrachter reichlich belohnt. Aber auch dann bleiben Einzelheiten, die nicht oder nur nach der Lektüre des Textes zu erkennen sind. Aber ist das nicht häufig so?

In der gleichen „M“-Nummer befand sich auch eine Reportage über die „World Transplant Games“ – also Olympische Spiele für Menschen, die sich einer Organtransplantation unterzogen haben. Dabei war unter anderem ein Foto von jemandem mit einer großen Narbe auf dem Bauch zu sehen. Außerdem gab es einen weiten Ausschnitt von einem Schwimmbad mit voll besetzten Tribünen, auf dem im Vordergrund ein Ellbogen und eine Bademütze zu erkennen waren, die aus dem Wasser auftauchten.

Die Dorfbewohner haben sich über diese Bilder lange den Kopf zerbrochen, glaubten aber schließlich doch, den Clou verstanden zu haben: Die Fotografierten waren von einem Seemonster mit weißem Kopf und Flossen angefallen worden, das nun zum Glück in ein großes Bassin gelockt werden konnte und dort durch die wütende Menge getötet werden würde.

Die scheinbar universelle Sprache der Fotografie stellt sich in der Praxis oft als sehr kulturgebunden heraus.

JAN BANNING, Jahrgang 1954, gelernter Historiker und Fotograf, lebt in der Universitätsstadt Utrecht. Der Niederländer ist auf Dokumentarfotografie spezialisiert und veröffentlichte mehrere Bildbände. „Traces of War“ etwa widmet sich dem Schicksal indonesischer und birmanischer Zwangsarbeiter, die das japanische Regime während des Zweiten Weltkrieges überlebt haben. Darüber hinaus wurden seine Fotos in zahllosen Magazinen und Büchern veröffentlicht. Annährend vielfältig ist das Ensemble der von ihm gewonnenen Kunst- und Journalistenpreise. 2004 erhielt er beim „World Press Photo“ den ersten Preis zugesprochen, obendrein bekam er den „Prize of Prague“. Im April erscheint sein gemeinsam mit dem „M“-Autor Dick Wittenberg gestaltetes Buch über Dickisoni in Malawi: „Binnen is het donker, buiten is het licht“ (Innen ist es dunkel, draußen ist es hell)“ im Verlag Atlas, Amsterdam