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Die Armee für die EG

■ Mit der politischen Einigung Europas hapert es weiterhin nun versuchen es Bonn und Paris mit Soldaten. 100.000 Mann für eine Europa-Armee zwischen Nato und WEU.

Die Armee für die EG Mit der politischen Einigung Europas hapert es weiterhin — nun versuchen es Bonn und Paris mit Soldaten. 100.000 Mann für eine Europa-Armee — zwischen Nato und WEU.

Das Timing war glänzend — einen Tag vor der heute auf Sizilien beginnenden Tagung der Nato-Verteidigungsminister war es raus. Die von Kohl und Mitterrand vor Monaten vereinbarte „strikte Geheimhaltung“ funktionierte fast bis zur letzten Minute. Als dann am späten Dienstag nachmittag in Brüssel die ersten Informationen über die neue deutsch-französische Initiative für eine gemeinsame westeuropäische Sicherheitspolitik durchsickerten, gab sich selbst die Bonner Hardthöhe noch ahnungslos. Immerhin war neben dem am Dienstag brieflich informierten EG-Ratspräsidenten, dem niederländischen Ministerpräsidenten Ruud Lubbers, auch der große Verbündete in Washington konsultiert oder zumindest vorgewarnt worden.

Mit der Veröffentlichung ihrer Initiative haben Helmut Kohl und Francois Mitterrand auf jeden Fall für kräftigen Zündstoff bei der Nato-Tagung gesorgt. Denn vor allem der substantielle Kern der Initiative, die Ankündigung zur Bildung eines deutsch-französischen Armeekorps als Nukleus für künftige westeuropäische Streitkräfte, ist geradezu darauf angelegt, Großbritannien zu brüskieren. Und auch bei der niederländischen Regierung stößt das Vorpreschen von Bonn und Paris keineswegs auf Begeisterung.

In ihrer gemeinsamen Erklärung beschreiben Kohl und Mitterrand als Ziel ihrer Initiative die Herausbildung einer „echten europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität“. Dieses Europa beschränkt sich in den Vorstellungen der beiden Regierungschefs — zumindest zunächst— auf die Europäische Gemeinschaft. Die ist denn auch der Adressat der deutsch-französischen Aktion. Beim Gipfel der Zwölf im Dezember in Maastricht sollen die Regierungschefs im Rahmen der Entscheidungen über eine Europäische Union auch konkrete sicherheits- und verteidigungspolitische Maßnahmen festlegen. Dazu schlagen Bonn und Paris jetzt im einzelnen vor:

*Die Westeuropäische Union (WEU) — in der bislang neun EG- Staaten Mitglied sind — wird zum sicherheits- und verteidigungspolitischen Arm der EG ausgebaut und soll damit die Rolle des „europäischen Pfeilers“ der Nato übernehmen.

*Um eine weitgehende Identität zwischen den beiden Institutionen herzustellen, sollten auch die EG- und Nato-Mitglieder Griechenland und Dänemark der WEU beitreten.

*Für das neutrale EG-Mitglied Irland schlagen beide eine Beobachterrolle bei der WEU vor.

*Das WEU-Sekretariat soll zwecks besserer Koordinierung mit EG und Nato von London nach Brüssel verlegt werden.

*Die EG-/WEU-Staaten sollen gemeinsame militärische Verbände in einer Größenordnung von 100.000 Soldaten mit einem gemeinsamen Oberkommando bilden.

*Als Kerntruppe und auch langfristig größten Bestandteil dieser gemeinsamen EG/WEU-Streitkräfte sehen Kohl und Mitterrand das neu zu schaffende deutsch-französische Armeekorps.

Das neue Armeecorps soll bei Straßburg stationiert werden und „mindestens 50.000“, möglicherweise sogar bis 70.000 Soldaten beider Länder umfassen. Das wären drei bis vier Armeedivisionen mit je 15.000 bis 20.000 Soldaten. Die Armeekorpsstärke soll durch Aufstockung der vor drei Jahren aufgestellten ersten deutsch-französischen Brigade erreicht werden. Diese Brigade mit rund 5.000 Soldaten ist derzeit bei Böblingen in Baden-Württemberg stationiert und steht unter dem Oberbefehl eines deutschen Generals.

Der Plan zur Schaffung einer EG/ WEU-Truppe ist bis in die vorgesehene Kräfteverteilung hinein ein deutlicher Kontrast zum erst knapp fünf Monate alten Beschluß der Nato über die Aufstellung multinationaler westeuropäischer Verbände sowie einer schnellen Eingreiftruppe. Die Verteidigungsminister hatten diese Entscheidung auf ihrer letzten Tagung Ende Mai auf Wunsch vor allem der USA getroffen— gegen heftigen Widerspruch der Franzosen. Die USA drangen auf die Aufstellung dieser neuen Streitkräfte (obwohl ohne Beteiligung von Soldaten der USA und Kanadas) im Nato-Rahmen, um das weitere Überleben des westlichen Militärbündnisses und damit ihren Einfluß in Europa zu sichern. Paris war aus genau diesem Grunde dagegen. Den Ausschlag gab seinerzeit die Bonner Regierung, die— trotz großer Bedenken und anderslautender Signale an Paris — die Haltung Washingtons schließlich unterstützte. Die Bedenken Bonns bezogen sich seinerzeit vor allem auf die Tatsache, daß die Briten sowohl die größten Kontingente der neu zu schaffenden westeuropäischen Nato-Streitkräfte und der schnellen Eingreiftruppe stellen wie auch deren Oberkommando erhalten sollten. Vor allem in der Bundeswehrführung gab es erhebliche Irritation wegen dieser Regelung.

Die deutsch-französische Initiative dürfte in London daher geradezu als Vergeltungsschlag empfunden werden. Die Kontroversen über eine Straffung der Nato-Kommadostruktur, die die Nato-Verteidigungsminister heute und morgen in Sizilien abschließend diskutieren wollten, dürften sich noch erheblich verschärfen.

Andreas Zumach

London (taz) — Die britische Regierung ist besorgt, daß europäische Truppenkontingente möglicherweise aus der Nato herausgelöst und der WEU zugeteilt werden könnten, sollte sich der deutsch-französische Plan durchsetzen. Während London bisher jedoch strikt gegen eine europäische Armee außerhalb der Nato war, ist man nun offenbar aus Angst vor einer Isolation auf dem EG-Gipfel in Maastricht zu Konzessionen bereit. Darauf deutet auch ein gemeinsamer britisch-italienischer Vorschlag vor zehn Tagen hin, der zwar eine eigenständige europäische Armee vorsieht, das Verhältnis zwischen Westeuropäischer Union und Europäischer Gemeinschaft jedoch unberührt läßt.

„Der Unterschied zwischen beiden Vorschlägen besteht darin, daß wir eine gemeinsame Basis finden wollen“, sagte der taz gestern der Sprecher des britischen Außenministeriums. „Wir unterstützen eindeutig eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik. Das Instrument dafür ist die WEU, die ihre Entscheidungen autonom treffen soll, jedoch die Interessen des Europäischen Rats und der Nato berücksichtigen muß. Außerhalb des Nato-Bereichs soll die WEU allein verantwortlich für den Einsatz ihrer Truppen sein.“ Britische Diplomaten sind besonders über eine Fußnote im deutsch- französischen Vorschlag beunruhigt, die besagt, daß die vor vier Jahren eingesetzte deutsch-französische Brigade ausgebaut werden und den Kern der neuen europäischen Armee bilden soll. „Harte Verhandlungen werden nötig sein“, sagte ein Diplomat. „Die Vorschläge klaffen weit auseinander.“

Das Außenministerium versuchte dagegen, das Konfliktpotential herunterzuspielen. „Das ist lediglich ein weiterer Beitrag zur laufenden Debatte“, sagte der Sprecher. „Der deutsch-französische Plan ist ja nicht neu. Es ist aber nützlich, ihn jetzt schriftlich vorliegen zu haben.“ Ralf Sotscheck

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