: Die Angst vorm Kreuzverhör
■ Zeugenberatungszimmer geschlossen, wer beruhigt nun die ZeugInnen?
„Muß ich denn wirklich aussagen?“ fragen viele ZeugInnen. Sie haben Angst vor der Rache des Angeklagten, sie befürchten, sich vor Gericht in Widersprüche zu verwickeln, sich nicht mehr erinnern zu können, ins Kreuzverhör genomen zu werden ... Besonders viel Angst vor dem Gerichtstermin haben OpferzeugInnen, Menschen also, die einer Tat nicht nur zuschauten, sondern selbst Opfer wurden. Manche erscheinen einfach nicht zur Verhandlung - mit der Folge, daß der Richter sie zwangsvorführen läßt. Seit 1991 fanden ZeugInnen Rat in den zwei Zeugenbetreuungszimmern der Bremer Gerichte.
Seit dem 1. Februar sind die Zimmer verschlossen. Mitte Januar hatte der Senat beschlossen, daß er nur noch gesetzliche Aufgaben finanzieren will - die Zeugenbetreuung ist keine gesetzliche Aufgabe. Daraufhin hat der Träger Bremer Hilfe seine Verträge mit den beiden Mitarbeiterinnen gekündigt. Die Bremer Hilfe will zwar weiter „kämpfen“, doch viel Hoffnung macht sich die Zeugen- und Opferberaterin Karin Loeck zum Beispiel nicht: Selbst wenn eine Halbtagsstelle dabei rauskäme - „dann kann man die Zeugenbetreuung vergessen, damit sind noch nicht mal die Verhandlungszeiten abgedeckt, geschweige denn psychosoziale Beratungstermine möglich“. Vielstündige Beratungen waren zum Beispiel bei Opfern von Vergewaltigung oder Körperverletzung durchaus nicht unüblich, weiß Danielle Hermans von der Opferberatungsstelle Bremer Hilfe.
Innerhalb der Bremer Justizbehörde gibt es aber auch Stimmen, die die Effektivität der Zeugenbetreuungsstelle anzweifeln. Zwar werde den gerichtlichen Vorladungen ein Hinweis auf die Zeugenbetreuungszimmer beigelegt, doch nur wenige nähmen das Angebot in Anspruch.
Wenige? Da muß sich Danielle Hermans wundern: Ihre Statistik zählt sechs Ratsuchende pro Tag. Die melden sich nun direkt bei der Opferberatungsstelle Bremer Hilfe. Dort ist man aber ohnehin schon ausgelastet. Zeit für die Begleitung zu Prozessen, woher nehmen? Oder das Gespräch mit RichterInnen, um sie auf die psychische Befindlichkeit der lebenden „Beweismittel“ hinzuweisen - auch diese Aufgabe der ZeugenbetreuerInnen fällt nun flach. Neben einigen wenigen Honorarverträgen hält Danielle Hermans als einzige Festangestellte der Bremer Hilfe den Laden zusammen, berät, besucht Verängstigte zuhause, erstellt Konzepte, lernt MitarbeiterInnen an ... Ihre 30-Stunden-Stelle soll nun reduziert werden.
Die ausgebildete Opferberaterin erinnert sich mit Wut, daß die Bundes-SPD erst im November '93 folgendes beschlossen hat: „Der Opferschutz muß verbessert werden“, heißt es in der Beschlußübersicht unmißverständlich. Da fordert die SPD zum Beispiel, flächendeckend professionell beratende Opfehilfestellen einzurichten. cis
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