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Die Angst vor dem Untergang

China und die Asienkrise: Beinahe ein Drittel der Bankkredite ist faul. Die Regierung schweigt über die Probleme. Die Krise nutzt ihr aber bei ihrem Reformkurs  ■ Aus Peking Georg Blume

Business as usual – das ist die Antwort der chinesischen Führung auf die Asienkrise. Während in Japan sich die neue Regierung bereits in der Krise befindet und in Südkorea Zehntausende von Arbeitern streiken, scheint die Welt in China heil zu sein.

Demonstrativ unbesorgt geht das Triumvirat der KP den Alltagssorgen des Volkes nach: Präsident Jiang Zemin reiste vor kurzem zur Inspektion durch die nordwestliche Wüstenprovinz Xinjiang, Premierminister Zhu Rongji kümmerte sich um die Flutopfer am Yangtse, und Parlamentschef Li Peng besuchte Bauern bei der Wahl ihres Bürgermeisters. Nichts im Verhalten der Mächtigen verrät derzeit, daß China schon morgen in die Rezession schlittern könnte.

Zwar erscheint die Volksrepublik manchem von weitem als „Insel der Stabilität“ (US-Finanzminister Robert Rubin). Doch viele der Sonntagsreden, die heute Chinas stabilisierende Rolle in einer krisengeschüttelten Region würdigen, gründen auf Zweckoptimismus. Die reale Wirtschaftslage Chinas ist alles andere als rosig. Nur will kein Politiker der erste sein, der die Rezession herbeiredet.

„Chinas Volkswirtschaft tritt in eine Phase des relativ langsamen Wachstums ein“, umschreibt Yang Fan, Ökonom an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, die neue Lage nach 20 Jahren zweistelliger Wachstumsraten.

Ein Beispiel gibt die aufstrebene Provinz Shandong südöstlich von Peking. Die Region mit annähernd 90 Millionen Einwohnern wickelte bisher 60 Prozent ihres Außenhandels mit anderen asiatischen Ländern ab. 80 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen in Shandong kamen aus asiatischen Nachbarländern, der Löwenanteil davon aus Südkorea. Heute ist das durch das Asiengeschäft entstandene Wachstum in Shandong wie weggepustet. Viele der 2.500 Unternehmen mit südkoreanischen Anteilshabern stehen vor dem Ruin. „Unsere Abhängikeit von asiatischen Investoren und asiatischen Exportmärkten hat sich als Risiko erwiesen“, räumt ein Sprecher der Außenhandelskommission in Shandong ein.

So könnten sinkende Exporte nach Asien und abnehmende Direktinvestitionen aus den Nachbarländern das chinesische Wachstumsziel von acht Prozent für 1998 in Frage stellen. Die Weltbank rechnet nur noch mit sieben Prozent Wachstum in diesem Jahr, und einige private Ökonomen malen die Zukunft Chinas noch schwärzer. Ihre Hauptsorge: die Schwäche des Finanzsystems.

Auch hier ist auf den ersten Blick alles in bester Ordnung: Vor wenigen Tagen meldete die chinesische Zentralbank fürs erste Halbjahr 1998 gleichmäßig steigende Kredite und Ersparnisse. Insgesamt ständen den Spareinlagen von umgerechnet 1,05 Billionen Dollar heute Kredite in der Höhe von nur 949 Milliarden Dollar gegenüber. Doch hinter diesen Zahlen kann sich ein Fiasko verbergen, das die Finanzkrisen in Thailand oder Südkorea sehr schnell relativieren würde.

Die Frage ist, leidet China an den gleichen strukturellen Problemen wie die vorerst gescheiterten Tigerstaaten? Zu nennen wären etwa die schwache Rolle der Zentralbank und unzureichende Kontrollen bei der Kreditvergabe oder das Ungleichgewicht zwischen einem ausufernden Bankwesen und einem allzu kleinen Aktienmarkt. In China könnte der Wurm im System sogar noch viel tiefer sitzen: Das fast völlige Fehlen eines funktionierenden Aktienmarktes hat hier in der Vergangenheit zur systematischen Unterbewertung von Krediten geführt. Das hatte zur Folge, daß insbesondere die mit dem staatlichen Bankwesen eng liierten Staatsbetriebe exzessiv Kredite aufnehmen konnten, ohne an ihre Rückzahlung zu denken.

Auch die Banken konnten ein Auge zudrücken, weil sie ihre Geschäftsergebnisse bis heute nicht öffentlich ausweisen müssen. Das Ergebnis: Allein die vier größten Staatsbanken sitzen heute auf einem Berg nicht mehr rückzahlungsfähiger Kredite. Experten schätzen, daß jeder vierte oder dritte Yuan, den die Banken verliehen haben, nicht mehr abgedeckt ist. Damit liegt der Anteil der faulen Kredite in China weit höher als in Südkorea oder Thailand vor der Krise.

Ein bedeutender Unterschied bleibt allerdings bestehen: Das chinesische Finanzsystem befindet sich fast vollständig im Besitz des Staates. Theoretisch könnte sich die nur wenig verschuldete Pekinger Regierung eines Tages dazu durchringen, die Lasten des Finanzsystems zu übernehmen.

Doch die Reformer um Zhu denken gar nicht daran: Ohne die Angst vor dem Bankrott kann ihrer Meinung nach das chinesische Bankwesen nicht genesen. Und so lautet denn auch Zhus allgemeines Rezept in der Asienkrise: Gerade die Gefahr des Untergangs soll Chinas wirtschaftliche Kräfte befreien.

Das ist gewagt kalkuliert. Doch der Wirtschaftszar hat keine andere Wahl: Fast zeitgleich zum Beginn der Asienkrise tagte im September 1997 der Parteitag der Kommunisten, der Zhu die Hoheit über die Reformpolitik in China einräumte. Natürlich hätte der Auserwählte sein Privatisierungsprogramm der Staatsbetriebe lieber in Zeiten der Hochkonjunktur gestartet. Nun macht die Asienkrise den chinesischen Reformkurs schmerzhafter als erwartet, aber auch um so einleuchtender. Nicht einmal unter den arbeitslos gewordenen Arbeitern der Staatsbetriebe gibt es heute viele, die Zhu die Schuld für ihr Schicksal geben.

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