: Die Anderen
■ Liberation: Wenig Chancen für Gorbatschows Wunsch nach beschleunigten Wirtschaftsreformen / Le Monde: Die Rolle der Intellektuellen beider deutscher Staaten im Vereinigungsprozeß
Liberation
Wenig Chancen für Gorbatschows Wunsch nach beschleunigten Wirtschaftsreformen
Nachdem die Deputierten schon im Dezember einen Reformplan zum Übergang zur Marktwirtschaft angenommen haben, erklärt sich das neue Programm aus dem schnell festgestellten Scheitern des 'Ryschkow-Programms‘. (...) Wenn man sich an die jüngste offizielle Doktrin hält, dann wird die 'Radikalisierung‘ der Reform mit Opfern für die Bevölkerung verbunden sein, deren Schicksal bereits auf dem Tiefststand angelangt ist. Die sowjetische Regierung ist ganz offen von der 'polnischen Erfahrung‘ und den Reformen Mazowieckis angetan, verfügt aber nicht über den politischen Trumpf, den die Unterstützung der Gewerkschaft Solidarität für den polnischen Ministerpräsidenten bedeutete. Politisch hat das Ryschkow-Programm also vielleicht noch nicht ausgespielt und es wäre nicht das erstemal seit fünf Jahren, daß ein Versprechen zur 'Radikalisierung‘ durch die Schwierigkeiten bei seiner Umsetzung verwässert wird. Den sowjetischen Umfragen zufolge erfreut sich Ryschkow einer deutlich größeren Beliebtheit als Gorbatschow, dem es damit schwerfallen dürfte - wenn er dazu Lust verspüren sollte -, seinem Ministerpräsidenten die Schuld an den wiederholten wirtschaftlichen Fehlschlägen der Perestroika aufzubürden.
Le Monde
Die Rolle der Intellektuellen beider deutscher Staaten im Vereinigungsprozeß
Die deutsche Revolution von 1989 hatte vielleicht eine Seele, aber es fehlte ihr der Geist durch die Schuld jener, die ihn hätten geben können. Die deutschen Intellektuellen im Osten wie im Westen haben 'vergessen‘, über die Einheit nachzudenken, einen intellektuellen und moralischen Rahmen für die nationale Wiedergebut vorzubereiten, wie das 1848 der Fall war. (...) Die deutschen Linksintellektuellen würden sich in einer besseren Position befinden, wenn sie sich im letzten Jahrzehnt nicht der Kritik am Totalitarismus und der Verteidigung der in der DDR und den anderen kommunistischen Ländern verhöhnten Menschenrechte verschlossen und es vorgezogen hätten, den amerikanischen Imperialismus, die Faszination der Franzosen für zivile und militärische Atomenergie anzuprangern. Wieviel Witzeleien haben in den siebziger Jahren nicht die französischen Intellektuellen einstecken müssen, die ihre westdeutschen Freunde an die Existenz des Gulag oder an die Notwendigkeit zur Erhaltung eines wirksamen Verteidigungspotentials gegen das sowjetische Übergewicht erinnerten.
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