■ Die Anderen: "Algemeen Dagblad" sieht die Bundeswehr in einer tiefen Krise / Die "Berliner Zeitung" kommentiert das Konzept des Staatsbürgers in Uniform / Der "Standard" meint, daß der Skandal strukturelle Probleme der Bundeswehr offenbart
Die Rotterdamer Zeitung „Algemeen Dagblad“ sieht die Bundeswehr in einer tiefen Krise: Wenn wir es richtig sehen, dann haben wir es hier mit einem neuen Fall von „Wir haben es nicht gewußt“ zu tun. Hoffentlich macht der deutsche Verteidigungsminister Rühe ernst mit seinem Vorhaben, die Führung der Bundeswehrakademie zu bestrafen. Bisher hat er Auswüchse dieser Art als Einzelfälle abgetan. Diese Ereignisse hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Schließlich spielten sie sich in der Armee eines wichtigen Verbündeten ab. Es kann deshalb nicht schaden, wenn Bonn deutlich macht, daß alle Militärs die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates unterschreiben müssen.
Die „Berliner Zeitung“ kommentiert, daß das Konzept des Staatsbürgers in Uniform durch die aktuellen Skandale gescheitert ist: Die Idee vom „Staatsbürger in Uniform“ war der Versuch der Bundesrepublik, Demokratie und Armee miteinander zu versöhnen. Von Anfang an wurde dieser Versuch von Zweifeln begleitet. Mit der Reverenz der Hamburger Bundeswehrakademie an den einschlägig vorbestraften Rechtsterroristen Manfred Roeder aber schlägt das Mißtrauen in Furcht um, das Experiment vom „Staatsbürger in Uniform“ stehe vor dem Scheitern. Denn wenn selbst der Elite des Offizierskorps nicht zu trauen ist, dann ist mit der Bundeswehr kein Staat zu machen. Diese Bilanz ist deprimierend, für Bundesverteidigungsminister Volker Rühe aber ist sie eine Katastrophe. Die disziplinarrechtlichen Schritte, die Rühe in der Roeder-Affäre eingeleitet hat, sind zudem unzureichend. Sie lenken nur von der politischen Verantwortung ab, die im wesentlichen beim Bundesverteidigungsminister liegt.
Der „Standard“ aus Wien meint, daß der Skandal strukturelle Probleme der Bundeswehr offenbart: Die Einladung Roeders widerlegt die Behauptung, bei den rechtsextremen Vorfällen handele es sich um „von außen in die Bundeswehr hineingetragene Probleme“. Schließlich erbrachte eine Studie über die politische Einstellung von Offiziersanwärtern den Befund einer ausgeprägten Neigung zu einer national- konservativen Gesinnung. Weitere Untersuchungen wären notwendig, was Rühe aus unverständlichen Gründen aber ablehnt. Dabei ist „Aufarbeiten und nicht verniedlichen“ das Gebot der Stunde. Die deutsche Debatte sollte auch für Österreicher ein Anlaß sein, nachzudenken, ob Soldatenlieder mit rassistischem Inhalt nicht eliminiert werden müßten. Falsch verstandene Pflege von Wehrmachtstradition führt zu einem falschen Geschichtsbild, was die Bundeswehr für Männer mit stramm rechter Gesinnung nach wie vor attraktiv macht. Reichlich Anstöße für notwendige Korrekturen bietet auch die Wehrmachtsausstellung.
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