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■ Die AnderenDas "Handelsblatt", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die "Bild"-Zeitung und die "Welt" nach der Bundestagswahl 1998

Das „Handelsblatt“ warnt sicherheitshalber schon mal vor Rot-Grün: Die politische Landschaft Europas hat sich mit dem Wahlsieg der SPD und dem guten Abschneiden der Grünen rötlich eingefärbt. Rot ist nicht die politische Lieblingsfarbe des international hochmobilen Kapitals. Ausländische Investoren könnten noch stärker als in den zurückliegenden Jahren einen Bogen um Deutschland machen. Ein Programm für den Abschwung hatten führende deutsche Wirtschaftsvertreter die rot-grünen Pläne genannt. Selbst wenn es dazu kurzfristig angesichts der trotz der Asien- und der Rußlandkrise robusten Konjunktur nicht kommen wird, eine Einladung an Investoren ist Rot-Grün nicht.

Eckhart Fuhr mag sich in der „FAZ“ nicht entscheiden, ob die Grünen bloß langweilig oder eine Horrorvision sind: Der Wechsel ist gelungen. Der neue Kanzler wird Schröder heißen. Die andere Hälfte seines Versprechens, nämlich den Wechsel nicht zu einer politischen Erschütterung werden zu lassen, muß Schröder noch erfüllen. Rot-Grün ist in den Ländern zu politischer Normalität, zum Alltag geworden – zu einem grauen Alltag. Im Wahlkampf aber zeigten die Grünen, die in Wiesbaden oder Kiel Regierungsroutine vorführen, wie fremd ihnen politische Grundentscheidungen der Nation immer noch sind. Eine Horrorvision, nicht nur für die Deutschen, wäre eine Bundesregierung, die sich als außenpolitischer Workshop gerierte, mit interessanten Ideen und ohne Handlungskraft. Schröder kennt diese Gefahr. Rot-Grün wird nur dann nicht zum Debakel für Deutschland, wenn es Schröder gelingt, Koalitionsverhandlungen mit den Grünen als Kapitulationsverhandlungen zu führen.

„Bild“ schlägt einen vergleichsweise moderaten Ton an: Hat Kohl – wie viele große Männer der Geschichte – nicht erkannt, wann es Zeit gewesen wäre, abzutreten? Helmut Kohl hatte zuviel Pflichtgefühl, um loslassen zu können. So blieb ihm sein letzter großer Traum verwehrt, als erster Kanzler wieder von Berlin aus zu regieren. Dort wird nun Schröder seinen Platz einnehmen. Die Erwartungen sind hoch. Ab heute wird er nicht mehr an seinen Worten, sondern an seinen Taten gemessen. Und an seinem Vorgänger.

Mathias Döpfner vertritt in der „Welt“ die etwas entlegene These, daß Kohl an seiner Sozialromantik scheiterte: Kohl hat sich letztlich doch von der linken Dauerkritik beeindrucken lassen. Der Standardvorwurf hieß: soziale Kälte. Der Kanzler hat hier zu un2entschieden gehandelt. Die Nähe zu Blüm mag da fatal gewirkt haben, weil sie die soziale Solidarität auf zentralstaatliche Umverteilung verlagert hat, anstatt mehr Leistungsanreize zu schaffen. Gestolpert ist Kohl nicht über soziale Kälte, sondern über zuviel Sozialromantik.

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