■ Die Anderen: "Le Journal du Dimanche" zu Cohn-Bendit als Euro-Spitzenkandidat der frz. Grünen / "Il Messaggero" und "Les Dernieres Nouvelles d'Alsace aus Straßburg zum Streit um Öcalan
„Le Journal du Dimanche“ zu Daniel Cohn-Bendit als Euro-Spitzenkandidat der französischen Grünen: Sein Eintreffen auf der politischen Bühne Frankreichs hat einen angenehmen Lufthauch ausgelöst. Endlich! Endlich ein Politiker – ja, ein Politiker, sein neuer Status –, der eine verständliche Sprache benutzt. Seine Worte sind nicht abgenutzt, seine Kritik ist direkt. Endlich ein Politiker, der von Europa und dem Föderalismus spricht und dabei seine Leidenschaft für Europa vermittelt. Cohn-Bendit, Ex-Revolutionär, der ein Mann der Mitte wurde, ein extremer Mann der Mitte, da ein Ex-Revolutionär. Eine Generation klatscht Beifall und findet sich in ihm wie in einem Spiegel wieder. Sie sieht für ihn schon eine Berufung. Warum nicht? Aber unter der Bedingung, daß der Politiker zum Staatsmann wird.
Zum Streit um Öcalan meint die liberale Zeitung „Il Messaggero“: Ein weiterer Aspekt im Fall Öcalan ist Europa. Es handelt sich hier um ein Problem, das die sofortige Aufmerksamkeit aller Staaten auf unserem Kontinent verlangt hätte. Statt dessen hat die Gemeinschaft den Weg des sofortigen und peinlichen Schweigens gewählt. Niemand – außer lobenswerterweise die Europaabgeordneten in Straßburg – hat auch nur ein Wort zu dieser Angelegenheit gesagt. Und daß Deutschland sich zu Wort gemeldet hat und erklärte, daß es trotz eines internationalen Haftbefehls gegen Öcalan aus dem Jahr 1990 keine Absicht hat, seine Auslieferung zu verlangen – das muß Deutschland noch genauer erklären, denn diese Logik ist nicht gerade sehr gut verständlich.
„Les Dernieres Nouvelles d'Alsace“ aus Straßburg zum selben Thema: Die Affäre Öcalan bringt nicht nur alle Welt in Verlegenheit, sie zeugt auch von einer europäischen Feigheit. Der lästige Chef der PKK befindet sich seit mehr als einer Woche in Italien. Die Türkei verlangt die Auslieferung des Mannes, den sie als öffentlichen Feind Nummer eins ansieht und für 30.000 Opfer des „Separatismus“ in Kurdistan sowie für blutige Attentate in mehreren Städten des Landes verantwortlich macht. Italien verweigert das unter dem Vorwand, daß Öcalan die Todesstrafe droht. In Italien folgt Demonstration auf Demonstration als Unterstützung für diese Auslieferung, während fast überall in Europa die Kurden die Freilassung ihres Chefs fordern. Um aus der Sackgasse zu kommen, fordert Italien ein Minimum an Solidarität, doch Europa vermeidet es mit Ausnahme des Straßburger Parlaments, im einen oder anderen Sinne Stellung zu beziehen. Oder es macht sich schlicht davon, wie etwa im Falle Deutschlands, wo Öcalan auch wegen Terrorismus gesucht wird und das hat wissen lassen, daß es seine Auslieferung nicht mehr fordert. Es stimmt: Auf der anderen Rheinseite leben über 500.000 Kurden.
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