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Die Anatomie des Terrors

Camus + Dostojewski = Castorf. Die Wiener Dämonen von Frank Castorf gastieren im Deutschen Schauspielhaus  ■ Von Joachim Dicks

Es ist schon fast langweilig, wie sehr der Ruf des enfant terrible und des rabiaten Stückezertrümmerers Frank Castorf begleitet, wo und wann auch immer er mit einer neuen Inszenierung von sich reden macht. Am Deutschen Schauspielhaus, wo Castorf seit einigen Jahren regelmäßig gastiert, war dies zuletzt bei seiner Fassung von Gerhart Hauptmanns Des Teufels General und der Strauß-Operette Die Fledermaus zu beobachten.

Vielleicht hat der Berliner Volksbühnen-Intendant diese Langeweile, die alle vorhersehbaren Provokationen auf die Dauer auslösen, selbst empfunden, als er für die Wiener Festwochen im Mai Die Dämonen inszenierte.

Vielleicht provozierte ihn aber auch Dostojewskis 1871/72 erschienener Krisenroman weniger zu einer destruktiven Deutung, weil er in ihm ohne Biegen und Brechen eine verblüffende Aktualität entdecken konnte. Jedenfalls: Die Reaktionen nach der Premiere an der Wiener Burg wie auch beim Heimspiel an der Berliner Volksbühne waren ebenso überschwenglich wie einhellig. Anstelle der üblichen polarisierenden Kritik ließ sich der harmonische Jubelgesang über ein Meisterwerk vernehmen. Heute und morgen abend gastieren Die Dämonen nun in Hamburg, im Deutschen Schauspielhaus.

Castorf hat für die Inszenierung eigens eine neue Textfassung erstellen lassen, die im wesentlichen der Bühnenbearbeitung Albert Camus' (Die Besessenen) und der neuen Romanübersetzung von Swetlana Geier (Titel: Böse Geister) folgt. Die für Dostojewski charakteristischen Endlos-Konversationen – als gelte: wer schweigt, der stirbt – dürften geblieben sein. Die radikalen Positionen jenseits von political correctness und bürgerlichen Wertvorstellungen werden Castorf besonders interessiert haben.

Seine einmal geäußerte Vorliebe für „faschistoide Gedankengänge“ und seine Sehnsucht nach einem „neuen Stahlgewitter“ verlieren neben den Worten des dämonisierten Revolutionärs Schigaljow an Ungeheuerlichkeit. Der fordert im Namen der Gleichheit: „Cicero die Zunge herausschneiden, Kopernikus die Augen ausstechen und Shakespeare steinigen.“ Die Quelle der Radikalität ist das Tabu. Vorsicht ist keine Tugend, sondern ein Ausdruck von Unfreiheit.

Dostojewski beschreibt eine Gesellschaft im Umbruch vom christlichen Glauben in einen materialistischen Nihilismus, vom elitären Humanismus zu einem anarchistischen Gleichheitsideal. Das Alte – repräsentiert von der Gutsbesitzerin Warwara und ihrem langjährigen Freund Stepan – weiß sich nicht mehr zu halten. Das Neue – vertreten von ihrem Sohn Nikolai und seinem Sohn Pjotr – flüchtet sich orientierungslos in Zynismus und (Selbst-)Zerstörung. Die Gefahr droht nicht von außen, sondern wächst in der eigenen Familie.

Darauf spielt ironisch das Programmheft an, auf dem ein Vater mit seinem kleinen Sohn an der Hand abgebildet ist. Vor allem aber die geballte Ladung besessener Schauspielkünstler wie etwa Henry Hübchen, Silvia Rieger, Martin Wuttke, Bernhard Schütz und Sophie Rois versprechen einen turbulenten Theaterabend und einen Kampf mit harten Bandagen zwischen den Generationen, Anspielungen auf Bakunin und RAF, Dogma 95 und Scheinselbständigkeit – und einen tiefen Einblick in eine von allen guten Geistern verlassene Welt.

nur heute und morgen im Deutschen Schauspielhaus, jeweils 19 Uhr

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