: Die Allmacht der Allfinanz
■ Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs entfacht gewaltige Übernahmeschlachten zwischen der Banken- und Versicherungsbranche der EG
Teil 10: Horst Buchwald
In der Luft lag es schon seit Anfang des Jahres. Die Spekulationen blühten. Dann schließlich setzte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Beregovoy kurz vor Ostern einen kräftigen Schlußpunkt. Der größten Geschäftsbank des Landes, der Banque Nationale de Paris (BNP) und der führenden Versicherungsgesellschaft, Union des Assurance de Paris (UAP), gab er das Plazet zur Kooperation sowie einer wechselseitigen Kapitalverflechtung. Das 'Handelsblatt‘ bemerkte dazu: Die Bildung dieses neuen Superfinanzkonzerns unterstreiche einen Trend, „der europaweit zu beobachten ist. Die Grenzen zwischen Banken und Versicherungen verwischen zusehends.“ Was dabei herauskommen soll, wird schon seit längerem unter dem Begriff „Allfinanz“ gehandelt.
Hauptauslöser ist der nach 1992 angekündigte EG -Binnenmarkt. Nach einem Zweistufenplan fallen die nationalen Schranken für die drei wichtigsten finanziellen Dienstleistungen - Kredit- und Bankwesen, Versicherungen, Börsen- und Wertpapierhandel. Die erste Stufe trat bereits 1987 in Kraft und betrifft langfristige Kredite im Zusammenhang mit Handelsgeschäften, den Erwerb von ausländischen Papieren, die nicht an der Börse gehandelt werden, sowie die Zulassung von Wertpapieren von Unternehmen auf dem Kapitalmarkt anderer Mitgliedstaaten. Ab 1992 schließlich können Banken und Versicherungen, nachdem sie in einem EG-Mitgliedland zugelassen wurden, auf dem gesamten Binnenmarkt Zweigniederlassungen errichten und unbeschränkt jegliche finanzielle Dienstleistung erbringen. Ob dadurch die von dem Lenkungsausschuß für das Forschungsprogramm „Kosten der Nichtverwirklichung Europas“ unter Leitung des Italieners Paolo Cecchini vermuteten Kostenvorteile von rund 22 Milliarden Ecu (also etwa 45 Milliarden DM) auch tatsächlich auf die Verbraucher durchschlagen werden, darf allerdings bezweifelt werden.
Schon immer haben die Herren des Geldes ihre Macht gnadenlos ausgespielt. Die Bevölkerung war dabei stets nur Marktpotential. Nach 1992 wird das erst recht nicht anders sein. Selbst der Automobilkönig Henry Ford klagte ausgiebig über diese Leute im grauen Zwirn: „Die Macht, die den Beherrschern des Geldes über Kräfte der Produktion eingeräumt wird, tritt um so deutlicher hervor, je klarer man sich die Tatsache vor Augen hält, daß es, obwohl das Geld den wahren Reichtum der Welt repräsentieren soll, stets mehr Reichtum als Geld gibt, und der eigentliche Reichtum häufig gezwungen wird, dem Gelde Knechtesdienste zu leisten.“ Das funktioniert heute besser denn je.
Obwohl der Beitrag des Finanzsektors zum Bruttosozialprodukt im EG-Durchschnitt lediglich fünf Prozent beträgt und in diesen Branchen mit 2,5 Millionen Beschäftigten der Anteil an der Gesamtbeschäftigung nur zwei Prozent ausmacht, laufen doch in den führenden Banken und Versicherungen die entscheidenden Fäden zusammen, nach denen die Hauptfiguren in Wirtschaft und Politik tanzen.
Die ungewöhnliche Macht der beiden Größten im Bank- und Versicherungsgewerbe der BRD zeigt dies exakt auf. Die Deutsche Bank ist unter anderem mit 28 Prozent bei Daimler Benz, 100 Prozent bei Klöckner, je 25 Prozent bei Karstadt und Horten beteiligt. Die Allianz besitzt zum Beispiel 23 Prozent der siebtgrößten Bank der BRD, der Hypo-Bank, 13 Prozent der BHF-Bank und 40 Prozent bei der Wüstenrot Lebensversicherungs AG. Und sowohl die Deutsche Bank wie die Allianz besitzen jeweils zehn Prozent der Kapitalanteile des Konkurrenten. Selbst das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Herrschaftsgefüge dieser Giganten. Die Bilanzsumme der Bank mit rund 299 Milliarden DM ist ebenso unvorstellbar hoch wie jene 115 Milliarden DM, über die die Allianz disponiert. Der Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Herrhausen ist nicht nur einer der wichtigsten Berater Kanzler Kohls, sondern ist auch entscheidend an der noch laufenden Fusion Daimler/MBB beteiligt. Zugleich sitzen Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank in den Aufsichtsräten von Schering, VEW, Reemtsma, Nixdorf, Hoesch, SEL, Veba, Nestle usw. usf. Andererseits läßt sich die Creme der Industrie von der Allianz versichern: Daimler Benz, Bayer, Thyssen, Bosch, Mannesmann, IBM Deutschland, Nixdorf usw.
Aber was ist schon Macht? Für einige Leute gibt es hier offenbar keine Grenzen. Und so gründete die Deutsche Bank eine Lebensversicherungs-AG. Schließlich: Nur 45 Prozent der Bürger in der BRD lassen sich auf diese Art absichern. Aber vor allem: Dieser Versicherungssektor gehört zu den einträglichen Wachstumsbranchen. Hinzu kommt: In den nächsten zwölf Jahren müssen etwa 300 Milliarden DM aus ablaufenden Lebensversicherungen im Erlebensfall neu versichert werden. Welch goldene Zukunft sich dort auftun könnte!
Wäre da nicht die einheimische und die ausländische Konkurrenz. Und eben die zeigt zunehmend scharfe Zähne. Der Geld- und Versicherungsmarkt erlebt gegenwärtig derartige Umbrüche, daß es schwerfällt, noch den Überblick zu behalten. Und es ist kein Zufall, daß sich zahlreiche dieser schwindelerregenden Prozesse in der BRD abspielen. Das Vermögen der Haushalte zwischen Flensburg und München stellt mit 2,5 Billionen DM sicher eines der lukrativsten Marktpotentiale dar. Logisch, daß die Konkurrenten kräftig austeilen.
Zwar versuchte der Allianzchef Schieren die Attacke der Deutschen Bank, die mit der Gründung einer eigenen Versicherung in die Nachbarbranche einbrach, mit der lässigen Bemerkung herunterzuspielen, „statt 107 haben wir jetzt 108 Versicherer“. Doch kurz danach holte er zum Gegenschlag aus. Mit der zweitgrößten Bank der BRD, der Dresdner Bank, schloß er eine Kooperation für Baden -Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland ab. In über 600 Zweigstellen der Bank werden demnächst auch Sach- und Lebensversicherungen verkauft, während 3.800 Allianz-Vertreter Kreditangebote losschlagen.
Forciert wird die Verschmelzung von Bank- und Versicherungsgeschäft auch in anderen EG-Ländern. Mit der Banco Popular in Spanien schloß die Allianz eine Kooperation und verkauft dadurch Lebensversicherungen und Pensionsfonds. Demnächst wohl auch Sachversicherungen. Neben der britischen Cornhill Insurance gehört auch die führende italienische Versicherung Riunione Adriatica die Sicurta (RAS) zur Allianz. Die wird nun eine Spezialbank gründen, die jene mit dem milliardenschweren Fondsgeschäft der RADS verbundenen Wertpapiertransaktionen abwickelt. Damit wird die Deutsche Bank auch in Italien herausgefordert, die nach der Übernahme der Banca d'America e d'Italia bereits über ein Netz von 100 Filialen verfügt. Schließlich liegt die Allianz schon seit längerem auf dem US-Markt auf der Lauer. Die Kriegskasse für eine lukrative Übernahme ist mit zwei Milliarden DM gut gefüllt.
Doch auch die Konkurrenten sind nicht untätig. Zu den nennenswerten Übernahmen der letzten Zeit gehören die der Europa-Gruppe durch die Continental sowie die Fusion der Gruppe Deutscher Lloyd der Ersten Augsburger Leben. Durch eine Neugründung mit der Nordstern Versicherungs-AG hat die Colonia sich in Griechenland etabliert.
Aber auch andere Formen sind denkbar. Die Cosmos Lebensversicherung kooperiert mit der BSV-Bank bei Spareinlagen und Vermögensbildung. Selbst branchenfremde Unternehmen wie die Kundenkreditbank (KKB), Tochter der US -Monopolbank Citibank, gründete ebenso eine Lebensversicherung wie das Kaufhaus Quelle. Großes Aufsehen erregte schließlich der Kauf der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) durch die Aachen-Münchener sowie die gegenseitige Beteiligung von Berliner Bank und Gothaer Versicherungsgruppe.
Auch die Banken geraten in ihren angestammten Sektoren immer mehr unter Druck. So versuchen Bausparkassen zunehmend jenem Personenkreis mit mittlerem Einkommen den Kreditbedarf rund um Haus und Familie abzudecken; Kreditkartengesellschaften bieten mit einer Verkehrsmittel -Unfallversicherung, Reisenotfallversicherung und Bargeldservice auch schon mehr als nur einen guten Namen; Automobilhersteller betreiben Kreditvergabe und Leasing. Insbesondere die KKB marschiert aber stramm in Richtung Allfinanz. Neben Bankprodukten werden Lebens- und Sachversicherungen angeboten. Eine Bausparkasse gehört bereits zu dem Unternehmen, und jetzt wurde mit der KKB-Visa -Karte die Leistung erweitert.
Auf die ganz große Übernahmeschlacht bereiten sich jedoch nicht nur die Banken und Versicherungen in der BRD und Frankreich vor. Dieser Kooperation war schließlich die Verbindung von Lloyds Bank und Abbey Life vorausgegangen, und in den Niederlanden fädelten die VSB (einer Holding der größten Sparkasse des Landes) und die AMEV (drittgrößte Versicherungsgesellschaft) eine wechselseitige Kapitalverflechtung ein. In Italien schließlich wird die Sanpoa-Bank demnächst mit einem britischen Partner drei kleinere Versicherungen übernehmen.
Das ganze ist indes kein Privatvergnügen der EG-Konzerne. Vor dem Hintergrund dieser enormen Marktaufteilungsschlacht wollen auch die Japaner nicht zurückstehen. Im Januar landete die zweitgrößte Lebensversicherung des Landes, die Dai-ichi Mutual Life, einen Volltreffer, indem sie einen Kooperationsvertrag mit der am Markt seit langer Zeit erfahrenen Victoria-Versicherungs-AG schloß. Der führende japanische Versicherungsgigant Nippon Life betreibt bereits eine enge Zusammenarbeit mit der American Express Company und plant, demnächst eine landesweit operierende Lebensversicherung zu kaufen. Indessen werden auch Konturen einer Zusammenarbeit mit dem italienischen Textilkonzern Benetton sichtbar, der auch große Ambitionen bei den Finanzdienstleitungen entwickelt hat. Unumwunden gibt der Sprecher des japanischen Verbandes der Lebensversicherer, Shinichi Nishio, zu, worum es geht: „Wir müssen jetzt in Europa kaufen, was sich bietet.“ Dies natürlich in der Befürchtung, daß Europa nach Einführung des Binnenmarktes nach außen abgeschotteter denn je sein wird.
Aus dem Wege zum Allfinanzmarkt stehen also turbulente Jahre bevor. Doch wenn die Liberalisierung der finanziellen Dienstleistungen im wesentlichen Übernahmeschlachten auslöst und große Konzerne nur noch größer werden, dann kann irgendetwas nicht stimmen. Im Vorwort zum Cecchini-Bericht schrieb EG-Kommissionspräsident Delors, der Binnenmarkt werde einen „wichtigen Beitrag zum Wachstum der Weltwirtschaft leisten“. Es wachsen bisher jedoch nur die Giganten. Und schon gar nicht ist angesichts dieser Umschichtungen das in Sicht, was Delors weiter vorschwebt: „Der Binnenmarkt muß sich aber auch als Faktor des sozialen Fortschritts erweisen.“
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