■ Die Affäre Oleksy und die unabhängige Presse in Polen: Ein Fall von Vertrauensverlust
Lang genug hat es ja gedauert! Über vier Wochen ließ sich Józef Oleksy, der polnische Regierungschef, mit seinem Rücktritt Zeit. Vier lange Wochen, die das Land an den Rand eines politischen Kollapses brachten. Oleksy, der Ende Dezember 1995 von dem scheidenden Innenminister Andrzej Milczanowski öffentlich bezichtigt wurde, ein KGB-Spion zu sein, regierte einfach weiter. So, als gehe ihn das gar nichts an. So, als sei das ein Problem der freien Presse.
Er schlug sich immer wieder an die Brust: „Ich kenne die Wahrheit.“ Und entließ als erstes den stellvertretenden Innenminister, der angeblich federführend an der Sammlung des Beweismaterials gegen Oleksy beteiligt war. Auf die Frage der Journalisten, warum er Jasik entlassen habe, meinte Oleksy lakonisch: „Weil ich das Vertrauen zu ihm verloren habe.“ Punkt. Das war's. Kein Wort mehr.
Das Verhältnis der regierenden Allianz der demokratischen Linken (SLD) zur freien Presse in Polen ist niemals deutlicher als in dieser Affäre geworden. Nicht nur Oleksy, auch die Regierungssprecherin, der Staatspräsident Polens – alle hatten sie permanent etwas zu bemängeln und zu rüffeln. Journalisten, die sich redlich Mühe gaben, irgend etwas herauszubekommen, wurden öffentlich, zum Teil sogar im Sejm, abgekanzelt und gemaßregelt. Presseerklärungen leiteten sowohl Staatspräsident Kwaśniewski als auch Premierminister Oleksy immer mit dem Lob der ausländischen Korrespondenten ein, die angeblich so „objektiv“, sprich pro-Oleksy, berichteten.
Dabei bemühten sich alle, sich von der um sich greifenden Spionagehysterie nicht anstecken zu lassen. Als Oleksy zu seiner Verteidigung anführte, daß viele seiner Bekannten regelmäßig Kontakt mit dem KGB- Offizier Wladimir Alganow gehabt hätten, und eine Journalistin nachfragte, ob darunter auch der jetzige Präsident Kwaśniewski gewesen sei, blaffte Oleksy zurück: „Sie mißbrauchen ihr Recht zu fragen!“ Ohne die Journalisten hätte es sicher keine Spionagehysterie gegeben, aber eben auch keinen Rücktritt Oleksys. Die Entwicklung kann also nur positiv gesehen werden. Positiv ist auch die steigende Selbstachtung der polnischen Journalisten zu sehen: Ewa Milewicz, Redakteurin der größten Tageszeitung Polens, der Gazeta Wyborcza, hat den Justizminister Jerzy Jaskiernia wegen übler Nachrede angezeigt. Bleibt nur noch abzuwarten, wie der Prozeß ausgeht: Vielleicht entläßt Jaskiernia den ermittelnden Staatsanwalt? Gabriele Lesser
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