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Archiv-Artikel

Die Achse des Rock

VON GERRIT BARTELS

Dem Piano seinen Lauf

Endlich, tönt es seit geraumer Zeit erleichtert aus England, endlich haben wir wieder eine Top-Band: die besseren Travis! Die massenkompatibleren Coldplay! Die allerbesten Trauerklöße mit den allerherzerweichendsten Songs für den Jedermann und die Jederfrau von zehn bis siebzig. Keane heißt diese dreiköpfige Wunderband, die wie üblich mit einer Single England zum Träumen brachte: „Somewhere Only We Know“. Dieser Song eröffnet folgerichtig das kürzlich erschienene und sofort die britischen Charts anführende Keane-Debütalbum „Hopes And Fears“, das ohne Wenn und Aber die Welt von Travis, Coldplay oder A-ha heraufbeschört: Schwelgen, noch mehr Schwelgen und sich dann ein bisschen schneuzen. Es lässt dem Piano seinen Lauf, gibt Gitarren keine Chance (Keane kommen tatsächlich ohne aus), artikuliert Ängste, spendet Hoffnung, erzeugt gute Gefühle, auch wenn die Zeiten danach nicht sind (sind sie ja nie), und lässt schließlich die Taschentücher, Wunderkerzen und Freundschaftsbänder zu ihrem vollen Recht kommen. Um es mit Mutter Kempowski zu sagen: Ach, ist es nicht zu, zu, zu schön!?

Keane: „Hopes and Fears“ (Island/Universal)

Die Killer in uns

Samuel Beam von Iron & Wine ist ein Typ, den in seiner uncoolen Knarzigkeit und Widersprüchlichkeit wahrscheinlich nur der amerikanische Indierock hervorbringen kann: Er lebt weitab von den Groß- und Kleinrockzentren der USA, in Miami, wo er am College of International Fine Arts die Kunst und Technik des Drehbuchschreibens lehrt. Er sieht allerdings mit seinem Vollbart eher so aus (und unterstreicht das mit einigen Gottes Güte preisenden oder beschwörenden Liedzeilen), als halte er Fernsehen und Kino für Ausgeburten des Teufels. Am besten sieht man in ihm einfach nur einen glücklicheren Wiedergänger des Lo-Fi-Waldschrats Will Oldham.

Funktionierenden Indienetzwerken sei Dank ist Beam mit seinen Songs genau auf der anderen Seite des Kontinents gelandet: in Seattle beim SubPop-Label. Dieses wurde einst mit Nirvana und Grunge zur Legende, war dann viele Jahre ein desperates Major-Abbruchunternehmen, ist inzwischen aber wieder eines der interessantesten und vielseitigsten Indielabels des Kontinents. Man denke nur an Bands wie die grandiosen Eins-Zwei-Drei-Rocker The Thermals, die in der Tradition von Bitch Magnet und Codeine stehenden Kinski oder die umwerfenden dBs-Epigonen The Shins.

Beam besetzt mit Iron & Wine den Folk- und Americana-Strang bei SubPop: Ruhig ist das neue Laute, aber eben auf Amerikanisch mit Banjo, Pedal Steel und Slide-Guitar. Das zweite Iron-&-Wine-Album „Our Endless Numbered Days“ klingt spröder als etwa Kings of Convenience, besitzt dafür mehr Kraft und mehr Tiefenwirkung, die obskureren und mitunter schwammig-religiösen Lyrics und manchen Killersong. Etwas böse gesagt: Das Album ist filigraner geraten als etwa alles von Simon & Garfunkel – Brian Deck, der Produzent und Mann fürs Feine bei den Wandersleuten von Folk bis Indie, macht’s möglich. Deck hat den Lo-Fi-Charme, den noch das erste Iron-&-Wine-Album „The Creek Drank The Craddle“ hatte, umsichtig wegdesigned.

Iron & Wine: „Our Endless Numbered Days“ (SubPop/Cargo)

Diskursfreie Untiefen

Gut möglich, dass Queens Of The Stone Age, die für kurze Zeit größte Stumpf- und High-Energy-Rockband aller Zeiten, endgültig in Frieden ruht: Die beiden Chefs der Band, Nick Oliveri und Josh Homme, haben sich vor kurzem unwiderruflich verkracht. Doch so wie es ein Leben nach den Ur-Stoner-Rockern Kyuss gab, eines mit den Queens nämlich, gibt es ein Leben nach den Queens: Vielleicht mit den Eagles of Death Metal, Josh Hommes neuestem Bandprojekt, das mit dem Album „Peace Love Death Metal“ die Freunde des Arschloch-, Theken- und Sonstwas-Rock tief in diskursfreie Zonen führt. Peace und Love, Sieg und Hörner, Sex mit Sauce, zart easy und zarte neunzehn Jahre – das Zeichensystem dieser Band versteht man zwar nicht, es bedeutet alles und nichts, macht aber Sinn vor dem Hintergrund dieses ungemein lässigen, tief in den frühen Siebzigern verwurzelten Boogie- und Scheißegalrocks.

Manchmal hat man zwar den Verdacht, was Homme hier als hauptamtlicher Schlagzeuger und Produzent mit zwei seiner alten Buddies an Mikro und Gitarre fabriziert, bekommt jede Regensburger Kellercombo genauso gut hin. Dann aber sind diese Songs wieder so gekonnt daneben, so schlurfig, so scheißegal, dass man weiß: Da geht wirklich keiner drüber, kein Julian Casablancas, kein Ian Svenonius und auch kein Nick Olivieri.

Eagles Of Death Metal: „Peace Love Death Metal“ (AntAcid/Soulfood)