Dicke schnallen den Gürtel enger

■ Ein Ring um den Magen hilft Übergewichtigen beim Abnehmen. Das Urban-Krankenhaus ist Vorreiter der Operationsmethode – „Brachialmethode“, sagen die Kritiker

Über dem Urbanhafen in Kreuzberg thront der Herr der Ringe. Während er seinen Blick über die spätsommerliche Wasserfläche schweifen läßt, fischt er mit routiniertem Griff einen roten Plastiksack aus der Schreibtischschublade. Der menschliche Magen als Modell. „Hier oben legen wir den Ring herum“, erklärt Professor Ulrich Kunath, Chefchirurg des Urban-Krankenhauses. Ruck, zuck hat er den weißen Plastikring wie eine Rohrschelle um das Kunststofforgan praktiziert. Nun zupft er an dem kleinen Teil des Säckchens, das oben herausschaut. „Da passen noch drei Löffel Nahrung hinein, dann sind Sie satt.“

130 eßsüchtige PatientInnen, vornehmlich Frauen, hat Kunath seit 1994 operiert. Als übergewichtig und operationswürdig zählt, wer mindestens 40 Prozent mehr als das Normalgewicht auf die Waage bringt. Bei einer 1,68 großen Person sind das rund 100 anstatt 68 Kilogramm. Weil der Plastikring das Fassungsvermögen des Magens reduziert, sollen die PatientInnen innerhalb von zwei Jahren wieder ihr Normalgewicht erreichen. Der 54jährige Kunath hat die neue Methode als erster bundesdeutscher Chirurg angewandt.

Die 30jährige Verkäuferin Alexandra Fischer* wog 123 Kilo, als sie sich den Ring einsetzen ließ. „Das erste Jahr war ganz schrecklich“, sagt sie rückblickend. Sie mußte sich ständig übergeben, weil sie mehr aß, als in ihren Restmagen hineinpaßte. Bestimmte Speisen wie Tomaten vertrug sie nicht. Deren Schalen verstopften das kleine Loch, das der Ring zum übrigen Verdauungstrakt normalerweise noch offen läßt. „Trotzdem habe ich es nie bereut“, meint Fischer.

Innerhalb des ersten Jahres schaffte sie es, auf 88 Kilogramm herunterzukommen. Allmählich ließen auch die vom Übergewicht herrührenden Rückenschmerzen und das Ziehen in den Beinen beim langen Stehen hinter der Ladentheke nach. An Fischers Wohnungstür klebt von innen ein kleiner Zettel. „Essen nicht vergessen“ steht darauf. Die Frau muß sich zwingen, ihre tägliche Ration – drei halbe Scheiben Brot und einen Becher Kefir – mit zur Arbeit zu nehmen. Sonst gibt sie den genüßlichen Verlockungen nach, die sie selbst den ganzen Tag verkauft.

Abnehmen funktioniert auch mit Magenring nicht automatisch. „Wir können den Patienten nur eine Hilfestellung geben, mit ihrer Sucht fertig zu werden“, sagt Chirurg Ulrich Kunath. Die Ursachen der Eßstörung könne er natürlich nicht beheben. Der Hungergürtel vermittelt den PatientInnen zu einem sehr frühen Zeitpunkt ein Sättigungsgefühl, das den meisten von ihnen schon lange abhanden gekommen ist. Aber dieses Stoppzeichen ihres Körpers müssen die Eßsüchtigen auch ernst nehmen und dann aufhören zu essen.

Die ÄrztInnen am Urban- Krankenhaus bemühen sich deshalb, die PatientInnen sorgfältig auszuwählen. „Ich akzeptiere nur kooperationsfähige Leute, die sich ihrer Sucht bewußt sind“, so Kunath. Nur jeder fünfte Bewerber wird genommen. Leute, die sich trotz 140 Kilogramm für normale Esser ohne grundsätzliche Probleme halten, haben keine Chance. Eine weitere Voraussetzung für die Operation: Die akzeptierten BewerberInnen haben schon verschiedene Therapien und Diäten erfolglos ausprobiert.

„Keine gute Methode“ sei der Magenring, meint allerdings Sylvia Baeck vom Zentrum für Eßstörungen, „Dick und Dünn“. Die chirurgische Brachialmethode führe nicht zu einer grundsätzlichen Umstellung der Eßgewohnheiten und vernachlässige die psychologischen Aspekte. Werde der Ring nach ein paar Jahren wieder herausgenommen, bestehe die Gefahr, daß die PatientInnen zu ihrem Suchtverhalten zurückkehrten. Im übrigen seien dann auch die Operationskosten von 10.000 Mark – rund 2.500 müssen privat bezahlt werden – zum Fenster hinausgeschmissen.

Was mit den abgespeckten PatientInnen passiert, wenn ihnen der Ring später wie geplant entfernt wird, weiß Professor Kunath noch nicht. Dafür ist die Methode noch zu neu. Grundsätzlich könne der Hungergürtel auch lebenslänglich im Bauch bleiben, heißt es. Fischer jedenfalls will den Magermacher aus Silikon nicht mehr hergeben. Denn befristete Diäten und Fitneßprogramme haben ihr immer nur kurze Zeit geholfen. Danach nahm sie wieder zu. Hannes Koch

* Name von der Red. geändert