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Dicke Luft macht krank

■ Arbeitssenatorin legt Jahresbericht der Gewerbeaufsicht für 1993 vor

Da sträubten sich selbst den hartgesottensten ArbeitsschützerInnen die Haare: Fünf Jahre trieb ein Abrißunternehmer aus dem niedersäschsichen Umland in Bremen sein Unwesen: Verölte Bagger mit ungesicherten Achsen, Arbeiter ohne Kleiderspinde, Toiletten, Helm oder Sicherheitsschuhe, die Fahrerkabine der Bagger gegen herabstürzende Trümmer nicht gesichert, eine „fast schon kriminell zu nennende Arbeitsweise“, wo ein kleiner Bagger ein hohes Haus in der Art abriß, daß „der obere Teil des Gebäudes völlig unkontrolliert auf den unteren Gebäudeteil fällt.“ Die Kontrolleure der Gewerbeaufsichtsämter kamen mit dem Bußgeld- und Zwangsgeldschreiben kaum noch nach. Der Effekt: Seit dem Frühjahr 1993 arbeitet das Unternehmen nicht mehr in Bremen – es zog mit Sack und Pack in die neuen Bundesländer.

Dokumentiert ist dieser Fall in einem Sonderbericht des Arbeitssenators im Anhang des Jahresberichtes 1993 der Gewerbeaufsicht Bremen, den Arbeitssenatorin Sabine Uhl gestern vorstellte. Im täglichen Leben haben die ArbeitsschützerInnen selten mit so hanebüchenen Verstößen gegen den Arbeitsschutz zu tun, doch immerhin gab es auch im letzten Jahr sechs tödliche Arbeitsunfälle im Land Bremen. „Insgesamt ist die Zahl der Arbeitsunfälle um 11,8 Prozent auf 10.188 zurückgegangen“, sagte Uhl. Sie hofft, darauf, vor allem kleine und mittlere Betriebe verstärkt für den Arbeitsschutz interessieren zu können, dort gibt es die größten Wissenslücken. Insgesamt, hieß es, gehe heute der „Trend“ immer mehr zu Rückenschäden durch langes Sitzen und unsachgemäßes Heben von schweren Lasten.

In 13.600 Fällen rückten die BeamtInnen der Gewerbeaufsicht zu Überprüfungen und Besichtigungen aus. Das Ergebnis: 9.443 Beanstandungen, die sich am häufigsten auf die Gestaltung der Arbeitsstätte, unzureichende technische Arbeitsmittel und gefährliche Arbeitsstoffe bezogen.

Als „typische Problemfälle“ nennt der Bericht zum Beispiel dicke Luft am Arbeitsplatz: Sieben Angestellte eines Supermarktes wurden bei der Arbeit immer wieder krank, bis endlich die Lüftungsanlage repariert wurde; trotz Verbotes lassen gerade in der Innenstadt viele Geschäfte ihre Türen offenstehen: MitarbeiterInnen sitzen im dauernden Luftzug und erkälten sich. „Ein großes Problem beim Trend zu immer mehr Filialgeschäften großer Ketten in der Bremer Innenstadt ist, daß die zuständigen Stellen für den Arbeitsschutz irgendwo weit weg sitzen“, meint Armin Ritter vom Gewerbeaufsichtsamt Bremen.

Die Stichproben der Arbeitsschützer werfen kein gutes Licht auf die Situation in Bremer Betrieben: Die Mehrzahl von medizinisch-technischen Geräten in 25 Massagepraxen und Bädern waren nicht regelmäßig überprüft; bei der Überprüfung von Autos und LKW auf Arbeitssicherheit wurden „im großen Umfang Mängel“ festgestellt; die „arbeitsmedizinische Betreuung im Baugewerbe ist nach wie vor unzureichend“; Arbeitsschutz bei Bus- und Lkw-FahrerInnen ist nach wie vor ein Fremdwort, bei jeder Überprüfung hagelt es Verstöße gegen die Arbeitsschutzbestimmungen. Und wenn Freimarkt ist, fällt der Arbeitsschutz ebenfalls schnell unter den Tisch: Uhl appellierte an die Schausteller, beim Aufbau und Betrieb der Geräte mehr auf Sicherheit zu achten .

Das häufigste Argument gegen den Arbeitsschutz, so Uhl, sei die Einstellung, er führe „unweigerlich zu Kostensteigerungen“. Das aber dürfe kein Argument sein, denn „es geht nicht um die Einhaltung starrer Vorschriften, sondern um den Schutz der Gesundheit von ArbeitnehmerInnen.“ Auch sei diese Einstellung letztlich eine Milchmädchenrechnung: Arbeitsunfälle seien wesentlich teurer als Arbeitsschutz. Denn die Kosten von Unfällen gehen immerhin zu Lasten der Berufsgenossenschaften, die zu 100 Prozent von den Arbeitgebern finanziert werden oder aber zu Lasten der Krankenkassen. Und auch an denen beteiligen sich die Arbeitnehmer zur Hälfte. bpo

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