: Dichterin in Residenz
■ Zur Unperson erklärt: Ein Gespräch mit der dissidenten kubanischen Dichterin Maria Elena Cruz Varela, die derzeit in Deutschland Lesungen hält
Für den Gedichtband „Hija de Eva“ (Tochter der Eva) wurde Maria Elena Cruz Varela 1989 in Kuba mit dem Nationalpreis für Poesie ausgezeichnet. Erscheinen konnte das Buch auf der Insel aber nicht mehr. Die Dichterin wird zum „Fall“, als sie 1991 einen als „Erklärung der Zehn“ bekanntgewordenen Protestbrief an Fidel Castro initiiert. Als sie, nachdem dies nichts als erbitterte Feindschaftserklärungen zur Folge hat, mit anderen die oppositionelle Gruppe „Criterio Alternativo“ („Alternative Meinung“) gründet, wird Maria Elena Cruz Varela in Kuba endgültig zur Unperson. Im November 1991 verurteilt man sie zu zwei Jahren Gefängnis; im Mai 1993 wird sie vorzeitig (wegen „guter Führung“) entlassen. Wenig später verläßt sie die Insel. Zur Zeit lebt sie in Puerto Rico.
taz: Welche Rolle geben Sie sich heute in der kubanischen Politik?
Maria Elena Cruz Varela: Wir sollten damit aufhören, uns selber „Rollen“ zuzuweisen. Wenn ich mich definieren sollte, dann als Antiheldin. Ich bin, wie Jorge Luis Borges einmal sagte, „ein Mensch, bis ins Skandalöse zerrissen zwischen verschiedenen und sich widersprechenden Loyalitäten“. Ich bin Dichterin. Ich habe das getan, was mir meine moralische Pflicht schien, und ich werde auch weiterhin alles für die Demokratisierung meines Landes tun. Und ich will mich der Literatur widmen: Eine Sprache sprechen, die die Menschen verbindet, anstatt unsere Gegensätze zu verschärfen.
Haben die Oppositionsgruppen auf der Insel Einfluß auf die Politik der Regierung?
Was die Regierung in den letzten Jahren an Veränderungen zugelassen hat, ist weniger aus ihrem eigenen Willen geschehen als durch den Druck des Volkes von unten. Albert O. Hirschmanns Aufsatz „Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der DDR“, der in gewisser Weise den Fall der Mauer erklärt, läßt sich perfekt auf die Verhältnisse auf Kuba übertragen. In der kubanischen Bevölkerung gibt es eine latente Rebellion, und die Kubaner verhalten sich durchaus kohärent, wenn sie einen blutigen Konflikt vermeiden. Gemeinsame und koordinierte Handlungen sind in Kuba äußerst schwierig. Aber die Völker verlieren irgendwann die Geduld. Und in der einen oder anderen Form trifft das Desaster uns alle. Daraus entsteht eine unterirdische Strömung von Komplizenschaften, die über kurz oder lang den Sieg davontragen wird.
Als Sie zur Führungsfigur der Opposition wurden, hat man Sie mit Violeta Chamorro verglichen – mit dem unterschwelligen Vorwurf, daß es Ihnen nur um die Macht ginge und Sie Präsidentin werden wollten ...
Über diesen Vergleich muß ich immer lachen. Die Anspielung auf Frau Chamorro – die meinen ganzen Respekt genießt – hat, als ich schon im Gefängnis saß, just Carlos Aldana gemacht [damals mächtiger Ideologie-Chef der KP, inzwischen wegen Korruption aller Ämter enthoben; Anm. d. Red.]. Ihn müßte man fragen, was er damit bezweckte. Dahinter steht aber, daß uns jahrelang eingetrichtert wurde, schon vor dem Wort „Macht“ Ekel zu haben; Macht, das ist nur etwas für die durch irgendeine göttliche Gnade Auserwählten. Jedesmal wenn – ob nun in Kuba oder außerhalb – irgendeine oppositionelle Person in Erscheinung tritt, kommt sofort der Vorwurf: „Der oder die will nur die Macht!“ Nun, ich habe nichts dagegen, daß jemand Macht will; sehr wohl geht es mir aber darum, die Methoden beurteilen zu können, die er dazu benutzt, was er mit der Macht anfängt, wofür er sie will und für wie lange er sie will.
Was sind Ihre Pläne für die persönliche Zukunft?
Als Kubanerin ist es heute schwierig, große Zukunftspläne zu schmieden. Man kann höchstens ein paar Koordinaten skizzieren, die den völligen Untergang verhindern. Mein gegenwärtiger Status ist nicht der einer Exilierten. Ich habe einen Vertrag als „Poet in Residence“ an der Interamerikanischen Universität von Puerto Rico und eine Arbeitserlaubnis der US- Regierung, um diesen Vertrag wahrnehmen zu können. Ich bin Kubanerin, und ich bleibe Kubanerin, trotz allem. Nichts und niemand kann mich zwingen, meine kubanische Nationalität und Bürgerrechte aufzugeben.
Ich vermisse meinen Sohn, meine Mutter, meine Brüder, meine Freunde, die so wichtig gewesen sind. Ich vermisse alles, was bis vor kurzem mein Leben ausgemacht hat. Aber ich habe gelernt, diese Etappe meines Lebens als das zu sehen, was ich wünschte, das sie wäre: Eine Gelegenheit, um mich beruflich und intellektuell weiterzuentwickeln; eine Art Ausbildungszeit, um mich mit der Welt auf der Höhe dieser Zeit vertraut zu machen; und, soweit es mir möglich ist, zu einem besseren Verständnis des „Problems Kuba“ beizutragen, das eben nicht in ein einfaches Schwarz-Weiß-Schema paßt, sondern sehr komplex ist. Interview: José Antonio Evora
Lesungen von Maria Elena Cruz Varela: Heute, 11.00 Uhr, Katholische Universität Eichstätt
Heute 20.00 Uhr: Centro Cultural Latinoaméricano, München (zusammen mit Jesús Diaz)
Morgen, 16.5., 20.00 Uhr: Bad Homburg, Gotisches Haus
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